Nordirland-Konflikt

Biden mischt sich in Brexit-Streit ein

US-Präsident Joe Biden hat sich im Brexit-Streit gegen Großbritannien gestellt. Vor dem G7-Gipfel wurde bekannt, dass er der britischen Regierung vorwerfen ließ, die Spannungen in Ulster anzufachen.

Biden mischt sich in Brexit-Streit ein

Von Andreas Hippin, London

US-Präsident Joe Biden hat der britischen Regierung vorgeworfen, die Spannungen in Nordirland und Europa anzufachen. Wie die „Times“ berichtet, wurde die Demarche – eine unter Verbündeten unübliche Protestnote – dem britischen Brexit-Verhandlungsführer David Frost schon in der vergangenen Woche von Yael Lempert vorgetragen. Sie ist die ranghöchste US-Beamtin in der britischen Metropole, bis ein neuer Botschafter ernannt wird. Die Vereinigten Staaten forderten Großbritannien darin dringend zu einer Verhandlungslösung im Streit mit der Europäischen Union auf, auch wenn dafür „unpopuläre Kompromisse“ erforderlich seien. Die Tageszeitung sorgte mit ihrem Scoop dafür, dass das Thema schon vor dem Treffen zwischen Biden und Boris Johnson in Carbis Bay im Raum stand.

Es geht in dem Streit um innerbritische Zollkontrollen, die nach dem Brexit eine Grenze auf der Grünen Insel überflüssig machen sollen. Nachdem britische Unternehmen den bürokratischen Mehraufwand von Lieferungen nach Ulster deutlich unterschätzt hatten, wurden die Kontrollen von London einseitig ausgesetzt, um die Versorgung zu sichern. Andere Fragen sind ungelöst, das Reisen mit Haustieren etwa. Damit nicht genug: Würde das Nordirland-Protokoll der Austrittsvereinbarung rigoros angewendet, dürften ab dem kommenden Monat weder Chicken Nuggets noch Hackfleisch oder Würstchen die Irische See gen Ulster überqueren.

Das Problem ist lange bekannt. Erst stimmte London zu, dass Nordirland weiterhin gewissen EU-Vorschriften folgen sollte, dann wurde das Problem auf die lange Bank geschoben. Nun fordert man „gesunden Menschenverstand“ ein und nennt Bestimmungen „unsinnig“, auf deren Einhaltung man sich vor einem halben Jahr verpflichtet hat. Vermutlich wird London auch in diesem Fall unilateral handeln, denn vor den traditionellen Märschen der Orange Order, einer Organisation der Protestanten in Nordirland, im Juli will man dem Unmut der Unionisten keine zusätzliche Nahrung geben.

Krisengespräche ergebnislos

Maros Sefcovic, der Vizepräsident der EU-Kommission, drohte diese Woche, die EU werde „schnell, fest und resolut“ handeln, „um sicherzustellen, dass Großbritannien seinen Verpflichtungen nach internationalem Recht nachkommt“. Nichtsdestotrotz und ungeachtet der Intervention Bidens endeten die Verhandlungen zwischen Sefcovic und Frost am Mittwoch ergebnislos. Großbritannien will Artikel 16 des Nordirland-Protokolls – den Notstandspa­ragrafen also – in Anspruch nehmen, sollte sich die Versorgung der Region nicht sicherstellen lassen. „David hat sehr klar gesagt, dass er das nicht vom Tisch nehmen wird“, zitiert der „Daily Telegraph“ eine mit den Verhandlungen vertraute Quelle.

Frost habe auch den Vorschlag zurückgewiesen, Großbritannien könne, ähnlich der Schweiz, ein Veterinärabkommen mit der EU abschließen. Damit würde sich das Land verpflichten, neuen EU-Vorschriften automatisch zu folgen – „Dynamic Alignment“ heißt das auch. Brüssel argumentiert, dann könnten vier Fünftel der Kontrollen entfallen. Allerdings würde die Überwachung der Einhaltung der Vorgaben der EU-Kommission obliegen. Sie hätten Auswirkungen auf das gesamte Vereinigte Königreich. Und auch der Europäische Gerichtshof wäre involviert. „Es war klar, dass wir das nicht akzeptieren würden“, zitiert das Blatt einen ranghohen britischen Beamten. „Das war von Anfang an ein grundlegender Teil unserer Position.“ Stattdessen wünscht sich London eine ähnliche Lösung wie zwischen der EU und Neuseeland: Äquivalenz, die gegenseitige Anerkennung von Standards.

Die neue Atlantikcharta, die Biden und Johnson am Donnerstag unterzeichnen wollten, kann über den Missklang nicht hinwegtäuschen. Als 1941 das Original unterschrieben wurde, einte die beiden Nationen ein gemeinsamer Feind. Nun schreiben sie sich die Verteidigung der Demokratie, die Bekräftigung der Bedeutung kollektiver Sicherheit und den Aufbau eines fairen und nachhaltigen Welthandelssystems auf die Fahnen. Doch offenbar bringen schon ein paar Chicken Nuggets die verkündete Wertegemeinschaft ins Wanken.