EZB-FORUM IN SINTRA

Blanchard plädiert für höheres EZB-Inflationsziel

Ex-IWF-Chefvolkswirt sieht Handlungsbedarf bei der Strategie - Plädoyer für aktivere Fiskalpolitik

Blanchard plädiert für höheres EZB-Inflationsziel

ms Frankfurt – Ex-IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard hat seine Forderung nach höheren Inflationszielen erneuert und dabei insbesondere die Europäische Zentralbank (EZB) ins Visier genommen. Die Euro-Hüter sollten zumindest so lange eine höhere Inflationsrate als die aktuell knapp 2 % anstreben, wie der sogenannte neutrale Zins nicht wieder deutlich gestiegen sei, sagte Blanchard am Montagabend in seiner Rede beim Eröffnungsdinner des EZB-Forums in Sintra. Blanchard, der nun als Professor am renommierten Massachusetts Institute of Technology lehrt, sagte, er sei “enttäuscht”, dass die EZB dies nicht getan hat – vor allem angesichts der Tatsache, dass sie in der Lage war, in den Krisen der vergangenen Jahre so viel an ihrer Politik zu ändern und ihre Glaubwürdigkeit in der Vergangenheit zu bewahren.Mit seinen Aussagen heizt Blanchard Diskussionen über eine Überprüfung der EZB-Strategie an. Anders als die US-Notenbank Fed hat die EZB bislang ihr Rahmenwerk nicht offiziell auf den Prüfstand gestellt. Allerdings nehmen auch unter Euro-Hütern die Stimmen zu, die eine solche Überprüfung fordern (vgl. BZ vom 29./30. Mai). Die EZB strebt aktuell eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 % an und schaut bei ihrer Lagebeurteilung auf wirtschaftliche wie monetäre Faktoren.Zuletzt hatte vor allem Finnlands Zentralbankchef Olli Rehn, der als möglicher Nachfolger von EZB-Präsident Mario Draghi Ende 2019 gilt, eine Strategieüberprüfung gefordert, ohne ins Detail zu gehen. Österreichs scheidender Notenbanker Ewald Nowotny hat sich für ein flexibleres Inflationsziel ausgesprochen. Er will zwar das 2-Prozent-Ziel erhalten, aber mit einem Korridor von einem halben oder ganzen Prozentpunkt um dieses Punktziel.Blanchard hatte bereits 2010, damals noch als IWF-Chefvolkswirt, vorgeschlagen, die Zentralbanken sollten ihre Ziele von den verbreiteten 2 % auf 4 % anheben. Damals war er von den Notenbankern noch quasi unisono attackiert worden. Inzwischen diskutieren aber auch Notenbanker offener über das Thema. Die Fed könnte künftig ein durchschnittliches Inflationsziel anstreben, bei dem Phasen mit Inflationsraten unterhalb des Ziels durch Phasen einer Teuerung oberhalb des Ziels ausgeglichen werden müssen.Die Befürworter höherer Inflationsziele begründen ihre Vorschläge vor allem damit, dass der natürliche Realzins, der seit Jahrzehnten sinke, auch in Zukunft niedrig sein werde. Dieser Zins wird definiert als der reale kurzfristige Zins, der Wachstum und Inflation ins gewünschte Gleichgewicht bringt. Bei einer Anhebung des Inflationsziels fielen die nominalen Leitzinsen tendenziell höher aus. Dadurch gebe es in Krisenzeiten mehr Spielraum für Zinssenkungen. Schätzungen zum Gleichgewichtszins sind aber sehr umstritten.Bei seiner Rede in Sintra erneuerte Blanchard auch sein Plädoyer, in Zeiten niedriger Zinsen die Vor- und Nachteile staatlicher Schulden und Defizite neu zu bewerten und jetzt Spielräume für eine zusätzliche Verschuldung zu nutzen (vgl. BZ vom 1. März). Das Geld müsse dann aber auch sinnvoll investiert werden.