Boris, Brexit und die City

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 7.8.2014 Londons Bürgermeister Boris Johnson hat sein Wahlkampfthema für das kommende Jahr gefunden: Großbritannien müsse zum Ausstieg bereit sein, wenn sich die Europäische Union nicht nach seinen...

Boris, Brexit und die City

Von Andreas Hippin, LondonLondons Bürgermeister Boris Johnson hat sein Wahlkampfthema für das kommende Jahr gefunden: Großbritannien müsse zum Ausstieg bereit sein, wenn sich die Europäische Union nicht nach seinen Wünschen reformieren lasse. Der populäre Rivale des zuletzt glücklosen David Cameron kündigte an, sich bei den Wahlen 2015 um einen Sitz in Westminster bemühen zu wollen. Zeitgleich legte er mit seinem Wirtschaftsberater Gerard Lyons einen Bericht zum Verhältnis der britischen Metropole zu Europa vor.Ihr Fazit: Die Hauptstadtregion kommt auch ohne Brüssel gut zurecht. Ihr BIP beläuft sich auf 350 Mrd. Pfund jährlich, ein Viertel der gesamten britischen Wirtschaftsleistung. Würde die Insel den Staatenbund verlassen, dabei gute Beziehungen zu den Nachbarn beibehalten und sich nach außen öffnen, könnte die Londoner Wirtschaft trotz der mit einem Austritt verbundenen kurzfristigen Verunsicherung in 20 Jahren auf 615 Mrd. Pfund wachsen und weitere 900 000 Stellen schaffen, heißt es in der gestern vorgelegten Studie “The Europe Report: A Win-Win Situation”, die mit Hilfe von Langfristschätzungen der Volkswirte von Volterra erstellt wurde.Es ist nicht das Szenario, das Johnson bevorzugt. Ihm ist an der Reform der EU in seinem Sinne gelegen. Dann könnte das Londoner BIP sogar auf 640 Mrd. Pfund wachsen und eine weitere Million Arbeitsplätze dazukommen. Während Cameron bislang keine Vision für Europa vorlegen konnte, hat Johnson recht genaue Vorstellungen. Er fordert eine Kontrolle der Zuwanderung, was ihm mit Sicherheit Wählerstimmen einbringen wird. Die gemeinsame Agrarpolitik müsse weiter reformiert, wenn nicht gar abgeschafft werden, “um nicht weiter Geld der Steuerzahler zu verschwenden und Produzenten aus der Dritten Welt zu diskriminieren”, wie Johnson bei Vorstellung des Berichts sagte. Die Zölle auf Rohrzucker bedrohten derzeit 850 Stellen in einer Londoner Raffinerie von Tate & Lyle. Innenpolitische, soziale und umweltpolitische Fragen sollten wieder in Westminster entschieden werden. Das Bekenntnis zu einem immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker will er aus den Römischen Verträgen streichen. In Brüssel werden sich nur wenige für solche Vorstellungen begeistern können. Aber in diesem Fall, sagte Johnson, sei ein Brexit “ebenfalls attraktiv”. Es gäbe dann wohl eine schwierige Übergangsphase und für eine begrenzte Zeit Unsicherheiten, was ausländische Direktinvestitionen angehe. “Das müssen wir akzeptieren.”Gehe alles weiter wie bisher, wächst die Londoner Wirtschaft der Studie zufolge bis 2034 auf 495 Mrd. Pfund. Bis dahin würden 200 000 neue Jobs geschaffen. Allerdings ist darin die neueste Brüsseler Idee, einen Finanzkommissar einzuführen, noch nicht enthalten. Großbritannien ist der größte Exporteur von Finanzdienstleistungen weltweit. Entsprechend wichtig ist für die Insel, dass die Regulierung stimmt. Das schlechteste Szenario, das sich die von der Stadtverwaltung beauftragten Ökonomen bislang vorstellen konnten, war ein Austritt aus der EU, dem eine Periode der intensiven Nabelschau folgt. Dann könnten 1,2 Millionen Stellen in der Hauptstadt wegfallen. Die Wirtschaft der Metropole würde den Projektionen der Volkswirte zufolge auch dann noch wachsen, allerdings lediglich auf 430 Mrd. Pfund. Cameron wird sich warm anziehen müssen. Sein Gegenspieler innerhalb der Tories hat jetzt schon mehr Profil als Oppositionsführer Ed Milliband. ——–Londons Bürgermeister fordert eine Reform der EU. Sonst sei auch ein Ausstieg attraktiv.——-