Boris Johnson will Neuwahlen
Boris Johnson hat keine arbeitsfähige Mehrheit im britischen Unterhaus mehr. Seine Gegner peitschten einen Gesetzentwurf durchs Parlament, der ihn zwingen soll, eine weitere Verlängerung der EU-Austrittsfrist zu erbitten. Johnson will nun für den 15. Oktober Neuwahlen ansetzen. Von Andreas Hippin, LondonDer britische Premierminister Boris Johnson hat nach einer historischen Niederlage im Unterhaus die Flucht nach vorn angetreten und für den 15. Oktober Neuwahlen vorgeschlagen. Die Regierung verfügt seit Dienstag nicht mehr über eine arbeitsfähige Mehrheit im britischen Parlament. Dafür sorgte der Wechsel des EU-Austrittsgegners Phillip Lee zu den Liberaldemokraten. In den Medien war lange spekuliert worden, dass angesichts der äußerst knappen Mehrheit der Tories einer oder mehrere Brexit-Gegner einen solchen Schritt wagen könnten. Lee galt als möglicher Kandidat. Die Verbleibsbefürworter übernahmen daraufhin mit Unterstützung von Speaker John Bercow die Kontrolle über die Tagesordnung. Nachdem die 21 Abweichler, die mit der Opposition gegen die Regierung gestimmt hatten, aus der Fraktion ausgeschlossen wurden, stehen den 298 verbliebenen Konservativen und den mit ihnen verbündeten zehn nordirischen Unionisten 340 oppositionelle Abgeordnete gegenüber. Zudem verfügen die nordirischen Republikaner von Sinn Fein über sieben Mandate in Westminster, die sie jedoch aus prinzipiellen Erwägungen nicht wahrnehmen wollen. Die Brexit-Gegner peitschten mit 329 zu 300 Stimmen einen Gesetzentwurf durchs Unterhaus, durch den die Regierung gezwungen werden soll, eine weitere Verlängerung der Austrittsfrist zu erbitten.Für Johnson sind Neuwahlen hochattraktiv, schließlich könnte er sich auf diese Weise seiner parteiinternen Gegner entledigen. Über einen entsprechenden Antrag der Regierung wurde erst nach Redaktionsschluss abgestimmt. Allerdings zeigte sich Oppositionsführer Jeremy Corbyn von Johnsons Vorschlag nicht gerade begeistert. Man werde sich enthalten, hieß es vor dem Votum. “Es fühlt sich langsam so an, als wollte Labour gar keine Neuwahlen”, twitterte daraufhin Nicola Sturgeon, die Chefin der schottischen Nationalisten. Für ein erfolgreiches Misstrauensvotum wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig. Johnson findet UnterstützungNigel Farage, der Führer der Brexit Party, hatte zuletzt angedeutet, dass er zu einem “Nichtangriffspakt” mit den Tories bereit sei, vorausgesetzt Johnson greift nicht auf den im Namen von Theresa May ausgehandelten EU-Austrittsvertrag zurück. Der in der Bevölkerung nach wie vor sehr beliebte Johnson könnte möglicherweise auch ohne die DUP auf eine Mehrheit kommen. Einem aktuellen Papier der Denkfabrik The UK in a Changing Europe zufolge gibt es unter denjenigen, die vor drei Jahren für den EU-Austritt gestimmt haben, beträchtliche Unterstützung für einen Brexit ohne vorherige Übereinkunft mit Brüssel. Mindestens die Hälfte würde dieses Szenario vorziehen. Vom Rest würde mindestens die Hälfte einen solchen Ausgang unterstützen, insbesondere wenn Alternativen mit einer Verlängerung der laufenden Hängepartie verbunden wären. “Obwohl es bislang wenig Anzeichen dafür gibt, dass die Unterstützung für einen solchen Schritt gestiegen ist, seitdem Boris Johnson Premierminister wurde, scheint die Brexit-Strategie der neuen Regierung gut auf die bestehende Stimmung derjenigen abgestimmt zu sein, die die EU verlassen wollen”, lautet die Schlussfolgerung der Verfasser.Der Marktforscher Yougov demonstrierte unterdessen, dass Formulierungen Umfragen entscheiden. Immerhin 48 % der Briten würden einen No-Deal-Brexit vorziehen, solange Corbyn nicht Premierminister wird. Lediglich 35 % würden es begrüßen, dass der Labour-Chef Johnson im Amt beerbt, wenn er dann ein weiteres EU-Referendum abhält. Bei Leave-Wählern lag das Verhältnis bei 80:10.