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Brasiliens Präsident steht vor dem Aus

Von Andreas Fink, Buenos Aires Börsen-Zeitung, 19.5.2017 Die Bombe platzte zur besten Sendezeit. In ihren Hauptnachrichten am Abend meldete Brasiliens größte Sendekette Globo, es existiere eine Tonaufnahme, die belege, dass Präsident Michel Temer...

Brasiliens Präsident steht vor dem Aus

Von Andreas Fink, Buenos AiresDie Bombe platzte zur besten Sendezeit. In ihren Hauptnachrichten am Abend meldete Brasiliens größte Sendekette Globo, es existiere eine Tonaufnahme, die belege, dass Präsident Michel Temer einen Großunternehmer zur Zahlung von Schweigegeld aufgefordert habe.Am 7. März habe der Präsident in seiner Residenz Joesley Batista empfangen, der zusammen mit seinem Bruder Wesley den weltgrößten Fleischkonzern JBS besitzt. Der Milliardär berichtete während des Gespräches, dass er in den kommenden 20 Jahren jede Woche 500 000 Reais, also umgerechnet 145 000 Euro, an Vertrauensleute des inhaftierten Eduardo Cunha zahlen müsse, damit dieser nicht gegenüber der Justiz auspacke. Cunha, wie Temer führendes Mitglied der liberalen Partei PMDB, war zwischen Februar 2015 und Mai 2016 der Präsident des brasilianischen Kongresses und ein intimer Kenner des gigantischen Schmiergeldsystems in Brasilia. Seine Aussage brächte das gesamte politische System des Landes in Gefahr. Das sah offenbar auch Temer so und sagte zu dem Unternehmer: “Das müssen Sie unbedingt weiterzahlen, ist das klar?”Was Temer freilich nicht wusste: Der Unternehmer schnitt die Konversation mit, um sich abzusichern. Später markierten Detektive im Firmenauftrag auch die Scheine und filmten die Übergabe des Geldes an einen Mittelsmann. Heraus kam das alles, nachdem der Fleischkonzern, inzwischen selbst unter dem Druck der Korruptionsermittler, vor ein paar Wochen beschloss, mit der Justiz zusammenzuarbeiten und das Material zu übergeben. Neves suspendiertDie Justizbehörden bestätigten bislang die Meldung von Globo nicht explizit, aber umfassende Durchsuchungen am späten Mittwoch und Donnerstag scheinen die These zu stützen. So wurde unter anderem der Kongress in der Hauptstadt unter die Lupe genommen. Neben Temer haben die Batista-Brüder auch den Senator und Führer der Sozialdemokraten Aécio Neves mitgeschnitten, als dieser um eine Spende von umgerechnet etwa 600 000 Euro bat. Er wollte damit die Anwaltskosten bezahlen, die seine Verwicklung in den Petrobras-Skandal mit sich bringt. Am Donnerstagmorgen wurde Neves vom obersten Gerichtshof mit sofortiger Wirkung als Senator suspendiert.Präsident Temer stritt am Mittwochabend alle Vorwürfe ab. Doch scheinen ihm nur wenige zu glauben, die Kurse an der Börse von Sao Paulo stürzten am Donnerstagmorgen um 10 % ab, die Landeswährung Real fiel von 3,13 zum Dollar auf 3,43. Offenbar fürchten die Marktteilnehmer, dass Temer nun sein wichtigstes parlamentarisches Projekt, die Reform des Pensionssystems, nicht mehr durch den Kongress bekommt. Die Neuregelung des Rentenwesens wird als Schlüsselelement angesehen, um die Staatskasse zu entlasten, die während der vergangenen Jahre enorme Defizite von bis zu 10 % des Bruttoinlandsproduktes produzierte. Temer hatte bislang in beiden Parlamentskammern eine enorme Mehrheit von etwa 80 % der Stimmen. Doch nun könnten viele davon abspringen.Temer ließ am Donnerstagmorgen verlauten, er habe nicht die Absicht, zurückzutreten. Doch kann er das durchstehen? Schon in den Mega-Fällen Odebrecht und Petrobras war der PMDB-Chef im Zwielicht, aber da schützte ihn die Immunität, weil die angeblichen Delikte vor der aktuellen Amtsperiode stattfanden. Das ist nun anders.Sollte Temer nicht zurücktreten, kann der Kongress ein Impeachment gegen ihn einleiten. Ob es dazu kommt, ist freilich unklar, denn der Kongresspräsident Rodrigo Maia, der einen solchen Prozess starten müsste, ist ein enger Verbündeter Temers und obendrein ebenfalls Beschuldigter in den Petrobras-Ermittlungen. Sollten die Parlamentarier keine Amtsenthebung durchführen, drohen auch in Brasilien Massendemonstrationen wie in Venezuela, eine große Mehrheit der Bevölkerung sprach sich in Umfragen für Neuwahlen aus. Neuwahlen möglichEine Schlüsselentscheidung steht am 6. Juni an. Da will das oberste Wahlgericht sein Urteil über die Präsidentschaftswahl 2014 fällen. Nachdem massive Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung der letztlich siegreichen Paarung Rousseff/Temer bekannt geworden sind, kann es sein, dass die Richter die gesamte Wahl für ungültig erklären und Neuwahlen ansetzen.