BREXIT-DEBATTE

Britische Regierung vor Zerreißprobe

Kabinettsmitglieder werben für EU-Austritt - Londons Bürgermeister wird Frontmann des Brexit-Lagers

Britische Regierung vor Zerreißprobe

David Cameron war klar, dass sich ein Teil seines Kabinetts dem Brexit-Lager anschließen würde, sobald er die Ergebnisse seiner Verhandlungen in Brüssel vorlegt. Zwar hielten ihm Wirtschaftsminister Sajid Javid und Innenministerin Theresa May die Treue. Dafür erklärte Londons populärer Bürgermeister Boris Johnson seine Unterstützung für einen Austritt aus der EU.Von Andreas Hippin, LondonDie Kampagne für einen Austritt Großbritanniens aus der EU hat am Wochenende deutlich an Schwung gewonnen. Dem Buchmacher Paddy Power Betfair zufolge lag die Wahrscheinlichkeit eines Brexit 122 Tage vor der auf den 23. Juni terminierten Volksabstimmung bei 34 %. Als das schottische Unabhängigkeitsreferendum vor der Tür stand, lag die Wahrscheinlichkeit einer Trennung von London bei lediglich 26 %. Oddschecker.com zufolge liegen die Quoten der Online-Buchmacher derzeit bei 4 : 9 für den Verbleib Großbritanniens in der Staatengemeinschaft und bei 2 : 1 für den Austritt. Es wird ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen, das zur Zerreißprobe für die britische Regierung zu werden droht. “Sechserbande” für BrexitKurz nachdem Premierminister David Cameron auf der ersten Kabinettssitzung, die seit dem Falkland-Krieg an einem Samstag stattfand, die Ergebnisse seiner Verhandlungen in Brüssel vorstellte, bekannten die Brexit-Unterstützer in seiner Regierung Farbe, die sofort in den Medien als “Sechserbande” bezeichnet wurden. Neben Justizminister Michael Gove, der nicht gerade als Stimmenfänger, aber als intellektuelle Größe seiner Partei gilt, gehören Arbeitsminister Iain Duncan Smith, Unterhausführer Chris Grayling und John Whittingdale (Kultur), Theresa Villiers (Nordirland) und Priti Patel (Beschäftigung) dazu. Wirtschaftsminister Sajid Javid und Innenministerin Theresa May, die ebenfalls als Wackelkandidaten galten, hielten schließlich Cameron die Treue.Die Brexit-Befürworter betonen zwar, dass Cameron nicht zurücktreten müsste, wenn sich eine Mehrheit der Bevölkerung für den EU-Austritt ausspräche. Allerdings befände er sich in einer äußerst schwierigen Position. Für seine Nachfolge brachte sich am Sonntagabend der scheidende Londoner Bürgermeister Boris Johnson in Stellung, der – auch ohne es extra zu erwähnen – der Frontmann des Brexit-Lagers sein wird. Sein Einstieg in die Debatte führte am Montag zu Kursverlusten des Pfund gegen den Dollar. Er wischte Bedenken weg, denen zufolge ein Ausstieg das Verhältnis zu Europa verschlechtern würde. “Wir haben 500 Jahre mit dem Versuch verbracht, die kontinentaleuropäischen Mächte davon abzuhalten, sich gegen uns zu verbünden”, schrieb der Historiker in einem Gastbeitrag für den “Telegraph”. “Es gibt keinen Grund, weshalb es jetzt dazu kommen sollte.” Er verstehe sich als Europäer und habe jahrelang in Brüssel gelebt. Man dürfe Europa nicht mit dem politischen Projekt EU verwechseln. Gegen Brüssel die Stimme zu erheben, sei weder antieuropäisch noch fremdenfeindlich. Er wehre sich gegen “den langsamen und unsichtbaren Prozess der juristischen Kolonialisierung” durch Brüssel. Die ganzen Argumente dazu, welchen Schaden die britische Wirtschaft im Falle eines Brexit nehmen würde, habe man so schon einmal gehört, als es um die Einführung des Euro ging. Großbritannien habe auf die Gemeinschaftswährung verzichtet und sei gut damit gefahren. Cameron warf ihm prompt Ambitionen auf seinen Job vor. Wirtschaftsvertreter uneinsAuch Zac Goldsmith, der konservative Kandidat für Johnsons Nachfolge, will Brüssel den Rücken kehren. “Uns würde es außerhalb der EU bessergehen”, schrieb er in einem Gastbeitrag für “City A. M”. Deshalb werde er für einen Brexit stimmen. Er sei nicht in die Politik gegangen, um jede Idee mit Meinungsforschern durchzugehen, bei großen Themen hin und her zu lavieren und nach den Wahlen einfach weiterzumachen wie zuvor. Die Wirtschaft spreche in der Frage nach dem Austritt nicht mit einer Stimme. Vor allem die kleinen und mittelgroßen Unternehmen der Hauptstadt klagten über die Regulierung aus Brüssel. Eine ganze Reihe von Größen der Finanzbranche versucht derzeit, Druck auf die City of London Corporation zu machen, in der Brexit-Debatte einen neutralen Standpunkt einzunehmen. Dazu gehören unter anderem der ehemalige Schatzkanzler Norman Lamont, Luke Johnson, der Chairman von Risk Capital Partners, und Ruth Lea von der Arbuthnot Banking Group.EU-Gegner finden sich in allen Parteien. Der Labour-Abgeordnete Frank Field hält ein Votum für den Austritt für den einzigen Weg, eine wesentliche Reform der EU zu erreichen.