Brüssel sieht Coronavirus als großes Risiko für Euro-Konjunktur

EU-Kommission verzichtet wegen unklarer Situation noch auf Einpreisung in neue Prognose - Wachstum bleibt vorerst unverändert

Brüssel sieht Coronavirus als großes Risiko für Euro-Konjunktur

ahe/ms Brüssel/Frankfurt – Die EU-Kommission sieht in der Verbreitung des Coronavirus nach den Worten von Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni “ein ganz erhebliches Abwärtsrisiko” für die Konjunktur in Europa. Aufgrund der Unklarheiten über den weiteren Verlauf der Lungenkrankheit seien die konkreten Auswirkungen zurzeit allerdings noch nicht einzuschätzen, sagte Gentiloni gestern in Brüssel. Die EU-Kommission verzichtete daher auch darauf, das Coronavirus schon ganz konkret in ihre neue Wachstumsprognose einzupreisen. Auswirkungen wurden vorerst lediglich für das chinesische Wachstum im ersten Quartal einberechnet.Gentiloni deutete aber bereits an, dass dies bei der nächsten Prognose im Mai anders sein könnte. Alles hänge von der weiteren Dauer der Epidemie und der weiteren Verbreitung des Virus ab, betonte er. Die weltweiten Lieferketten könnten ebenfalls wie etwa der Tourismus und die Reisebranche betroffen sein. Gentiloni verwies zugleich darauf, dass das Coronavirus ganz andere ökonomische Auswirkungen haben könnte als beispielsweise die Sars-Pandemie -allein weil die chinesische Wirtschaft heute einen viel höheren Anteil an der Weltwirtschaft habe.Der neuen Konjunkturprognose der EU-Kommission zufolge wird das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euro-Währungsgebiet 2019, 2020 und 2021 stabil um jeweils 1,2 % wachsen. Damit bestätigte die Brüsseler Behörde ihre Vorhersage von Anfang November – lediglich die Zahl für 2019 wurde um 0,1 Prozentpunkte erhöht. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch für die EU insgesamt: Der BIP-Anstieg für 2019 wird mit 1,5 % 0,1 Prozentpunkte höher als bisher erwartet. Für 2020 und 2021 blieb es dagegen bei der Wachstumsprognose von jeweils 1,4 %.Gentiloni verwies darauf, dass alle EU-Länder zwar gedämpft, aber stabil weiteres Wachstum verbuchten. Im Euroraum gebe es damit die bisher längste Expansionsphase seit der Einführung des Euro im Jahr 1999. Vor allem die Binnennachfrage und damit der private Konsum bleibe vorerst intakt, was auch mit der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt zu tun habe. Es gebe eine kontinuierliche Schaffung von Arbeitsplätzen und ein robustes Lohnwachstum. Die Arbeitslosenquote war im EU-Durchschnitt zum Jahresende 2019 zudem auf 7,4 % gesunken – auf den niedrigsten Stand seit Mai 2008.Deutschland hatte sich 2019 zusammen mit Italien zur Wachstumsbremse im Euroraum entwickelt. Die Prognosen für Deutschland wurden von der EU-Kommission aber leicht angehoben: auf ein BIP-Plus von 0,6 % im vergangenen Jahr und von jeweils 1,1 % in diesem und im kommenden Jahr (siehe Grafik). Dies waren im vergangenen Jahr 0,2 Prozentpunkte mehr als bisher erwartet und jeweils 0,1 Prozentpunkte 2020 und 2021. Nach den Worten von Gentiloni dürften sich die deutschen Exporte, die 2019 stark getroffen waren, wohl nur langsam erholen. Die internationale Nachfrage unter anderem nach Autos bleibe wohl auch in den nächsten zwei Jahren schwach. Allerdings entwickelten sich der Dienstleistungssektor und die Bauwirtschaft in Deutschland dynamisch und könnten damit ein Ausgleich sein.Die Inflationserwartungen wurden von der EU-Kommission leicht nach oben korrigiert. Die Inflationsprognose für den Euroraum wurde für 2020 auf 1,3 % und für 2021 auf 1,4 % gesetzt. Dies war gegenüber der bisherigen Prognose eine Steigerung um jeweils 0,1 Prozentpunkte. Dies ist laut der Behörde darauf zurückzuführen, dass die höheren Löhne nunmehr auf die Preise durchschlagen könnten und auch die Ölpreisannahmen leicht nach oben korrigiert wurden. EZB im DilemmaMit besonderer Spannung werden nun die neuen Projektionen der Europäischen Zentralbank (EZB) erwartet, die die Notenbank am 12. März veröffentlicht. Zuletzt haben wieder Spekulationen zugenommen, die EZB könne ihre ohnehin schon sehr expansive Geldpolitik noch einmal lockern und speziell den negativen Einlagenzins von aktuell -0,5 % erneut senken. Hintergrund waren nicht zuletzt Sorgen vor den wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte das Virus als neues Risiko für die Konjunktur bezeichnet. Zugleich hat Lagarde aber zuletzt bemerkenswert offen betont, dass die Möglichkeiten der EZB, bei einem Abschwung gegenzusteuern, inzwischen sehr begrenzt seien. Im EZB-Rat gibt es zudem zunehmende Sorgen vor den negativen Nebenwirkungen der lockeren Geldpolitik.