Bundesbank mahnt zur Vorsicht bei natürlichem Zins

Monatsbericht: Schätzungen mit großer Unsicherheit verbunden - Nur einer von vielen Indikatoren

Bundesbank mahnt zur Vorsicht bei natürlichem Zins

ms Frankfurt – Die Bundesbank warnt davor, voreilige Schlüsse über einen Rückgang des sogenannten natürlichen Zinses zu ziehen – und noch mehr davor, entsprechenden Einschätzungen in der geldpolitischen Debatte zu große Bedeutung beizumessen. “Das erhebliche Ausmaß an Schätzunsicherheit legt nahe, dass eine robuste geldpolitische Strategie kein allzu hohes Gewicht auf spezifische Maße für das Niveau des natürlichen Zinses legen sollte”, heißt es im gestern veröffentlichten Monatsbericht Oktober der Deutschen Bundesbank. Nicht exakt zu berechnenDer natürliche Zins wird vielfach definiert als der Zins, bei dem der Gütermarkt im Gleichgewicht und das Preisniveau stabil ist. Entsprechend ist auch häufig die Rede vom Gleichgewichtszins oder dem neutralen Zins. Dieser Satz kann aber nicht gemessen oder berechnet werden, sondern wird geschätzt. Für die Zentralbanken weltweit ist die Analyse des natürlichen Zinses seit jeher von großer Bedeutung – nicht zuletzt als Referenzmaßstab für die Ausrichtung der Geldpolitik, ob diese also eher expansiv oder restriktiv auf die Realwirtschaft wirkt.In den vergangenen Jahren hat die Debatte über den natürlichen Zins indes noch einmal rasant Fahrt aufgenommen (vgl. u.a. BZ vom 25.8.2016). Zahlreiche prominente Ökonomen und auch Notenbanker argumentieren, dass der natürliche Zins deutlich gesunken sei. Damit sei die aktuelle Geldpolitik trotz teils sogar Null- und Negativzinsen und trotz beispielloser Anleihekaufprogramme gar nicht so expansiv wie gedacht. Mehr noch: Nicht zuletzt US-Notenbanker John Williams plädiert angesichts eines gesunkenen Gleichgewichtszinses für eine Debatte über eine Anhebung des verbreiteten Inflationsziels von 2 % – um mehr Zinssenkungsspielraum bei einer Rezession zu haben.Auch in der Diskussion über die Geldpolitik im Euroraum spielt der natürliche Zins eine prominente Rolle. So hat nicht zuletzt EZB-Vizepräsident Vítor Constâncio immer wieder auf Schätzungen verwiesen, nach denen der neutrale Zins im Euroraum dramatisch gesunken sei – und damit auch die aggressive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) gerechtfertigt. Am Donnerstag stehen die Euro-Hüter nun vor zentralen Weichenstellungen für ihre Geldpolitik im Jahr 2018 – umso bemerkenswerter ist die Veröffentlichung jetzt im Monatsbericht.Die Bundesbankexperten räumen ein, dass zahlreiche Verfahren zur Berechnung des natürlichen Zinses auf einen Rückgang des Satzes in vielen Industrieländern seit etwa den 1980er Jahren hindeuteten – auf ein nach der Weltfinanzkrise außerordentlich niedriges Niveau. Nach einer von US-Notenbanker Williams und anderen entwickelten Betrachtungsweise sei der natürliche Zins für den Euroraum zeitweise gar unter 0 % gefallen und liege aktuell nur bei knapp über 0 %.Zugleich betonen sie aber, das geschätzte Niveau des natürlichen Zinses sei “je nach angewendetem Verfahren sehr unterschiedlich und kann oft nur mit sehr breiten Unsicherheitsbändern geschätzt werden”. Neben den üblichen Modellunsicherheiten seien die Unterschiede auch durch verschiedene Konzepte des natürlichen Zinses selbst begründet – etwa bei der Frage, ob es um ein kurzfristiges oder ein mittel- bis langfristiges Gleichgewicht gehe. Aus geldpolitischer Sicht spreche deshalb einiges dafür, den natürlichen Zins nur “als einen von zahlreichen geldpolitisch interessanten Indikatoren zu begreifen und sich seiner Grenzen bewusst zu bleiben”. Zumindest indirekt widersprechen die deutschen Währungshüter damit auch weitergehenden Überlegungen, auf dieser Basis etwa über das optimale Inflationsziel zu diskutieren. Keine säkulare StagnationDie Bundesbankexperten stellen sich zudem gegen die These der säkularen Stagnation, dass sich also die langfristigen Wachstumsaussichten nachhaltig drastisch verringert hätten. Auch dafür ist der vermeintlich gesunkene natürliche Zins in jüngster Zeit häufig als Indikator angeführt worden. In dem Bericht kommen sie zu dem Ergebnis, dass anders als die langfristigen Zinsen, die anhaltend gesunken seien, die Eigen- und Gesamtkapitalrenditen nahezu unverändert geblieben seien. Das spreche dafür, dass es eher eine gestiegene Nachfrage nach risikoärmeren Vermögenswerten gebe, die die Rendite drücke – und nicht eine erhöhte Sparneigung oder gesunkene Investitionsneigung. “Der hier gemachte Befund stärkt insofern nicht die These einer sogenannten säkularen Stagnation”, so die Bundesbank.