Bundesregierung erhöht die Konjunkturprognose

Wirtschaftsminister glaubt die Talsohle der Coronakrise durchschritten und rechnet nicht mit zweitem Lockdown - Industrie sieht keinen Grund zur Entwarnung

Bundesregierung erhöht die Konjunkturprognose

sp/Reuters Berlin – Die Bundesregierung hat ihre Konjunkturprognose für das laufende Jahr nach oben korrigiert und ist zuversichtlich, dass der jüngste Aufwärtstrend nach Überwindung der Coronakrise anhält. “Die Talsohle ist durchschritten”, sagte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) bei der Vorstellung der Interimsprojektion in Berlin. Der Aufschwung nach dem Lockdown im Frühjahr “geht schneller und dynamischer vonstatten, als wir es zu hoffen gewagt hatten”. Er geht für 2020 von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 5,8 % aus. Das wäre zwar immer noch die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Im Frühjahr hatte die Regierung allerdings noch einen Rückgang um 6,3 % in Aussicht gestellt. Die gesamtwirtschaftlichen Eckwerte der Interimsprojektion bilden auch die Grundlage für die gesonderte Steuerschätzung vom 8. bis 10. September (siehe Tabelle).Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht noch keinen Grund zur Entwarnung. “Die Lage der Wirtschaft bleibt ernst”, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. “Die Erholung hat zwar begonnen, doch wird sie in vielen Branchen mehrere Quartale dauern.” Wer aus der Coronakrise mit einer stabilen Industrie herauswolle, müsse die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts stärken. Bei Unternehmenssteuern, Infrastruktur und Energiekosten habe Deutschland im internationalen Vergleich “viel Luft nach oben”. Vergleichbar mit 2009Der Einbruch im Rahmen der neuen Projektion würde in der Größenordnung von 2009 liegen, als das BIP infolge einer weltweiten Finanzkrise um 5,7 % schrumpfte. Für 2021 geht die Regierung nur noch von einem Wirtschaftswachstum von 4,4 % aus. Hier war bisher ein Plus von 5,2 % vorhergesagt worden. Die Senkung sei darauf zurückzuführen, dass ein Teil des erwarteten Aufschwungs bereits im laufenden Jahr vorgezogen werde, erklärte der Wirtschaftsminister. Altmaier sprach von einer V-förmigen Erholung.Das Vorkrisenniveau beim BIP dürfte erst wieder Anfang 2022 erreicht sein. Voraussetzung dafür ist, dass die Wirtschaft nicht erneut zur Pandemiebekämpfung heruntergefahren wird. Auch dazu äußerte sich Altmaier zuversichtlich. Er sei überzeugt, dass die zuletzt wieder gestiegenen Neuinfektionszahlen ohne einen zweiten Lockdown gesenkt werden können.Sorgen bereitet Altmaier die weltwirtschaftliche Entwicklung, von der die deutsche Exportwirtschaft abhängig ist. “Es gibt Länder um uns herum mit sehr hohen Infektionszahlen und sehr volatiler Wirtschaft”, sagte der Minister. Die deutschen Exporte dürften deshalb in diesem Jahr um mehr als 12 % einbrechen. Umso wichtiger sei es, die Binnenkonjunktur anzukurbeln, etwa mit der vorübergehenden Senkung der Mehrwertsteuer und dem Kinderbonus. Höhere Steuern lehnte Altmaier ungeachtet des erwarteten Haushaltsdefizits wegen der Coronakrise ab. “Ich bin fest davon überzeugt, dass Steuererhöhungen überhaupt keine gute Idee sind”, sagte er. SPD-Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz hatte zuletzt höhere Steuern ins Gespräch gebracht. Deutschland schlägt sich gutDeutschland ist bislang besser durch die Coronakrise gekommen als viele andere große Industrienationen. So brach das Bruttoinlandsprodukt im Frühjahr zwar mit 9,7 % so stark ein wie noch nie. Allerdings: “Die Rezession im ersten Halbjahr ist weniger stark ausgefallen, als wir befürchten mussten”, sagte Altmaier. Frankreich (- 13,8 %), Großbritannien (- 20,4) und Italien (- 12,8) erwischte es härter. Zuletzt mehrten sich zudem die Hinweise auf eine Belebung: Der Ifo-Geschäftsklimaindex legte vier Monate in Folge zu.Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut sieht die deutsche Wirtschaft in einer am Dienstag veröffentlichten Studie ebenfalls auf einem Erholungskurs und rechnet zur Jahreswende 2021/22 mit der Rückkehr auf das Niveau vor der Coronakrise. Im dritten Quartal werde das Inlandsprodukt deutlich zunehmen, heißt es in einer Mitteilung des HWWI. Nach den heftigen Einbrüchen im zweiten Quartal werde dennoch insgesamt in diesem Jahr ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 5 % zu Buche schlagen, dem im kommenden Jahr ein Wachstum um ebenfalls 5 % folgen werde. Das gelte aber nur, wenn es keine Rückschläge bei der weiteren Entwicklung der Pandemie gebe. Die negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie seien in Deutschland wegen der Unterstützung durch die Politik geringer ausgefallen als in vielen vergleichbaren Ländern. – Wertberichtigt Seite 6