ANSICHTSSACHE

Bundesregierung verpatzt die Chance der EZB-Politik

Börsen-Zeitung, 8.8.2014 Die Deutschen leiden besonders unter der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Eine Gesellschaft im demografischen Wandel muss verstärkt private Altersvorsorge betreiben. Solange die Inflation aber die...

Bundesregierung verpatzt die Chance der EZB-Politik

Die Deutschen leiden besonders unter der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Eine Gesellschaft im demografischen Wandel muss verstärkt private Altersvorsorge betreiben. Solange die Inflation aber die Kapitalerträge übersteigt, ist das unmöglich. Schlimmer noch: Bereits angespartes Vermögen verliert täglich an Wert. Faktisch wirkt sich die Niedrigzinspolitik wie eine massive Steuererhöhung aus. Politik macht Eurozone krankFür viele bietet es sich deshalb an, über die EZB zu schimpfen. Aber sie verordnet nur die bittere Medizin, um den Patienten zu retten. Die Krankheitsursache liegt in der Politik der Mitgliedstaaten. Überhöhte Staatsverschuldung, fehlende Risikovorsorge für Staatsanleihen, Reformverweigerung und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit als Folge davon, haben die Eurozone krank gemacht. Anstatt sich ihrer Verantwortung zu stellen und den Heilungsprozess durch Haushaltskonsolidierung und Sozialreformen aktiv voranzutreiben, lehnen sich die Regierungen reihenweise zurück und überlassen der Notenbank die Therapie allein.Inzwischen ist auch Deutschland unter der großen Koalition vom Kurs der Haushaltskonsolidierung abgerückt und hat die Ausgaben kräftig in die Höhe getrieben. Anstatt die Vorteile der Niedrigzinspolitik für den Bundeshaushalt zu nutzen, werden die Sozialausgaben künstlich weiter angehoben und kräftig in den Konsum investiert. Was in Südeuropa nachweislich falsch war, soll für Deutschland nun der richtige Weg sein. Hier hat sich eine Politik durchgesetzt, die den Menschen seit Jahren einredet, die hohe Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands störe das Gleichgewicht in der Eurozone.Dahinter steckt der Gedanke, dass der Fehler nie bei der Mehrheit liegen kann. Als ganz Südeuropa Probleme hatte und Deutschland blenden dastand, wurde die kühne These verbreitet, mit unserem Land müsse etwas nicht in Ordnung sein. Inzwischen hat sich der Gedanke durchgesetzt. Die große Koalition macht genau die Politik, vor der die Bundesregierung die Eurokrisenländer noch im vergangenen Jahr gewarnt hat. Deutschland baut seine Wettbewerbsfähigkeit ab, weil die Regierung lieber heute gefallen möchte, als dem Land eine gute Zukunft zu sichern. Massive VertrauenskriseDabei ist die Euro-Krise im Wesentlichen eine Vertrauenskrise. Die hohe Schuldenlast hat bei Investoren Zweifel aufkommen lassen, ob die Euro-Länder noch willens oder gar in der Lage sind, ihre Schulden zurückzuzahlen. Die Staaten haben ein derartiges Missverhältnis zwischen ihrem Schuldenstand und ihrer Wettbewerbsfähigkeit aufkommen lassen, dass am Ende selbst der gemeinsame Rettungsschirm nicht mehr ausgereicht hat, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.Ohne die Ankündigung des EZB-Präsidenten Mario Draghi, alles zur Rettung der Währung Notwendige zu tun, wäre die Eurozone verloren gewesen. Wer vor diesem Hintergrund den Schuldenabbau verweigert und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit schwächt, perpetuiert die Niedrigzinspolitik. Anstatt den Patienten zu heilen, macht ihn die Bundesregierung auf diese Weise noch abhängiger von der bitteren Medizin und profitiert dabei von der Therapie durch die EZB. Sie nutzt die Notenbankpolitik aus. Die Leidtragenden sind die Sparerinnen und Sparer, die darauf vertraut haben, dass der Staat ihre private Altersvorsorge schützt. Sie werden mit dem Versprechen ruhiggestellt, man erhöhe ihnen nicht die Steuern. Höhere Steuern in SichtDabei wirkt sich die Entwertung der Altersvorsorge viel schlimmer aus. Weil die Vorteile niedriger Zinsen in dauerhafte Ausgabenerhöhungen fließen, ist es nur eine Frage der Zeit, ab wann die Zahlungsverpflichtungen des Staates über höhere Steuern finanziert werden müssen. Dann haben die Sparerinnen und Sparer beides: entwertete Altersvorsorge und höhere Steuern. Wenn Deutschland als größte Wirtschaftsnation wie von Union und FDP vorbereitet, im Jahr 2015 damit begonnen hätte, Schulden zu tilgen, anstatt Ausgaben zu erhöhen, wäre das ein gewaltiges Vertrauenssignal gewesen. Es hätte eine Trendwende herbeiführen können und uns einem Ende der Niedrigzinspolitik näher gebracht. Ausgerechnet die deutsche Regierung setzt nicht auf Konsolidierung durch Sparen und Reformieren, sondern auf eine Entwertung von Sparguthaben und privater Vorsorge.Wir haben es hier mit einer völlig neuen Form von Umverteilungspolitik zu tun. Sie nützt kurzfristig all denjenigen, die keine Ersparnisse haben und von Geschenken wie der Mütterrente oder der Rente mit 63 profitieren. Langfristig leiden aber alle, wenn sinkende Wettbewerbsfähigkeit Arbeitsplätze kostet.Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist als Krisenbewältigungsmaßnahme kein nachhaltiges Instrument, um Mehrausgaben zu finanzieren. Sie eröffnet der Politik keine neuen Handlungsspielräume. In Deutschland hat sich die Diskussion stark auf die intergouvernementalen Kompromisse zur kurzfristigen Eurostabilisierung konzentriert. Der fundamentale Politikwechsel, den die große Koalition in der Haushaltspolitik vollzogen hat, wird dagegen zu wenig beachtet.Wenn die Niedrigzinspolitik für Deutschland auf Dauer nicht hinnehmbar, zugleich aber das Vertrauen in die Eurozone ohne sie nicht mehr vorhanden ist, führt uns das in eine Sackgasse. Deutschland muss schnell zurück auf Weg der Konsolidierungspolitik. Der Schuldenabbau wird für eine zunehmend älter werdende Gesellschaft schwieriger, weil immer weniger Erwerbstätige immer größere Lasten tragen müssen. Die Euro-Krise ist erst bewältigt, wenn die öffentlichen Haushalte vertrauenswürdig sind, ohne dass die Europäische Zentralbank grenzenlose Versprechungen macht.——Dr. Volker Wissing ist Rechtsanwalt und Mitglied des FDP-Bundespräsidiums mit Zuständigkeit für Finanzen.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Volker WissingDeutschland muss zurück zur Konsolidierung. Sonst haben Sparer bald beides: entwertete Altersvorsorge und höhere Steuern.——-