Chaos und Unsicherheit in Italien

Noch immer kein Termin für Abstimmung über Misstrauensvotum - Übergangsregierung im Gespräch

Chaos und Unsicherheit in Italien

In Italien herrscht große Unsicherheit darüber, ob es eine Übergangsregierung geben wird oder zur baldigen Neuwahl kommt. Bisher ist nicht einmal klar, wann die beiden Kammern des Parlaments über den Misstrauensantrag der Lega gegen die Regierung entscheiden. bl Mailand – Bei einem Treffen der Fraktionsspitzen der im Parlament vertretenen Parteien konnte am Montag nicht einmal Einigkeit darüber erzielt werden, wann die beiden Parlamentskammern zusammenkommen, um über den Misstrauensantrag abzustimmen, mit dem die Lega die von ihr mitgebildete Regierung stürzen will. Die Entscheidung wurde auf den heutigen Dienstag vertagt. Während Vizepremier und Lega-Chef Matteo Salvini ein Votum noch in dieser Woche anstrebt, wollen der bisherige Koalitionspartner 5-Sterne-Bewegung und andere Parteien darüber erst in der kommenden Woche abstimmen. Für die geplanten Sitzungen müssen die Parlamentarier aus der Sommerpause zurückgerufen werden.Salvini dringt auf ein rasches Zusammenkommen der Parlamentarier in Senat und Abgeordnetenhaus, um nach einem Misstrauensvotum gegen die Regierung möglichst noch im Oktober Neuwahlen durchzuführen. Die anderen politischen Kräfte haben es weniger eilig. Es hängt wesentlich von Staatspräsident Sergio Mattarella ab, ob es zunächst eine Übergangsregierung gibt oder ob im Herbst gewählt wird. Frühestens 60 Tage nach einer Abwahl der Regierung könnte gewählt werden.Herr des Verfahrens ist Staatspräsident Mattarella. Er ist es, der über eine Neuwahl entscheidet. Er könnte auch eine technische Übergangsregierung einberufen, die etwa über einen Haushalt entscheidet, der bis zum 15. Oktober nach Brüssel übermittelt werden muss, oder die derzeit stärkste Partei im Parlament, die 5 Sterne, mit einer Regierungsbildung beauftragen. Als mögliche Premierminister gelten Wirtschaftsminister Giovanni Tria, Außenminister Enzo Moavero Milanesi, der Ökonom Carlo Cottarelli und Raffaele Cantone, Ex-Chef der nationalen Antikorruptionsbehörde. Gegenseitige VorwürfeNoch ist die Koalitionsregierung unter Führung von Premierminister Giuseppe Conte formal im Amt. Die (Noch-)Regierungsparteien Lega und 5 Sterne überziehen sich gegenseitig mit Vorwürfen. Die 5 Sterne wollen vor der Neuwahl eine Wahlrechtsreform verabschieden, durch die sich die Zahl der Parlamentarier fast halbieren würde – auf nur noch 365 Mandatsträger. Sie werden dabei von Ex-Premierminister Matteo Renzi unterstützt. Der Sozialdemokrat von der Ex-Regierungspartei Partito Democratico (PD) macht den 5 Sternen Avancen. Er will eine Übergangsregierung, die die Wahlrechtsreform und das Budget für 2020 erarbeitet. Außerdem soll eine solche Regierung eine Klausel, die eine automatische Erhöhung der Mehrwertsteuer für den Fall vorsieht, dass Rom die mit der EU vereinbarten Defizitregeln nicht einhält, aussetzen.Renzi, der seine Partei verlassen will und die Mehrheit der PD-Abgeordneten hinter sich hat, obwohl er ein Gegner des neu gewählten Parteichefs Nicola Zingaretti ist, stößt insbesondere bei 5-Sterne-Gründer Beppe Grillo und Parteichef sowie Vizepremier Luigi Di Maio auf Skepsis. Allerdings halten Beobachter ein Bündnis der Linkspartei PD mit den 5 Sternen, das aktuell etwa die Hälfte der Abgeordneten hinter sich hätte, nicht für ausgeschlossen. Das ist ein Grund dafür, dass Salvini, dessen Partei Umfragen bei 37 % sehen, sich mit Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi, der der Mitte-Rechts-Partei Forza Italia vorsteht, treffen will. Salvini strebt ein Bündnis mit ihm und Giorgia Meloni, Chefin der rechtsextremen Fratelli d’Italia (Ex-Neofaschisten), an. Die Lega stellt mit ihren 17 % bei den Wahlen vom März 2018 im Parlament nur eine Minderheit.Salvini plant ein großes Infrastrukturprogramm, die Einführung einer Flat Tax, eine Steueramnestie und weitere Steuersenkungen. Dass das Haushaltsdefizit schon ohne die von ihm geplanten Maßnahmen auf 2,9 % steigen würde, wobei eine Mehrwertsteuererhöhung angenommen wird, die 2020 rund 23 Mrd. Euro in die Kassen spülen würde, stört ihn nicht. Die EU-Kommission erwartet 2020 einen Fehlbetrag von 3,5 %. Angesichts des hohen Zinsabstands (Spread) zwischen deutschen und italienischen Bonds könnte die Refinanzierung für Staat, Banken und Unternehmen teuer werden und die Wirtschaft abwürgen.