Chaostage in Italien

Während sich die wirtschaftliche Situation immer weiter eintrübt, ist unklar, wer das Land künftig regiert

Chaostage in Italien

Die politische Zukunft Italiens ist unsicherer denn je. Es ist völlig unklar, wer künftig regiert und ob und wann gewählt wird. Vermutlich wird am 20. August über das Misstrauensvotum der Lega gegen die Regierung abgestimmt. Unterdessen verdüstert sich die wirtschaftliche Lage des Landes immer weiter.Von Gerhard Bläske, MailandChaostage in Italien: Wer künftig regiert, ob und wann gewählt wird – alles steht in den Sternen. Unterdessen bricht die Wirtschaft ein. Und der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland ist für Italien eine weitere schlechte Nachricht: Denn Deutschland ist für das Bel Paese der bei weitem wichtigste Wirtschaftspartner.Noch ist die Regierung aus Lega und der 5-Sterne-Bewegung formal im Amt. Es war fast absurd zu sehen, wie Regierungschef Giuseppe Conte und seine zerstrittenen Vizepremiers Luigi Di Maio und Matteo Salvini bei der Gedenkfeier zum Jahrestag des tragischen Brückeneinsturzes von Genua den 43 Opfern gedachten. Sie ignorierten sich und zogen anschließend wieder übereinander her.Mit der gemeinsamen Regierung ist es am Dienstag wahrscheinlich vorbei. Dann soll das Parlament über den Misstrauensantrag von Salvinis Lega gegen die von ihr mitgetragene Regierung entscheiden. Aber selbst das ist nicht sicher. Und wenn, dann ist nicht sicher, dass der Regierung das Misstrauen ausgesprochen wird. Das sind alles taktische Spielchen, die eigentlich keiner versteht.Sicher ist nur, dass Salvini Italien noch tiefer ins Chaos gestürzt hat als bisher. Gesetzesvorhaben sind blockiert, die Arbeit am Haushaltsgesetz für 2020 kann nicht weitergehen, die Verträge von Lehrern werden nicht verlängert. Salvini wollte schnelle Neuwahlen, die ihn an die Macht bringen. Doch mit Ausnahme der Lega hat keine Partei Interesse an einem vorgezogenen Urnengang. Fast alle würden verlieren.Wenn der Regierung das Misstrauen ausgesprochen würde, was das wahrscheinliche Szenario ist, wären Neuwahlen keinesfalls sicher. Denn darüber muss Staatspräsident Sergio Mattarella entscheiden. Er könnte alternativ eine Übergangsregierung einberufen, die zumindest einen Haushaltsentwurf erarbeitet. Er könnte aber auch die 5-Sterne-Bewegung als derzeit stärkste Parlamentspartei mit einer Regierungsbildung beauftragen, wenn er dafür realistische Chancen sehen sollte. Und die könnte es geben, denn es gibt Anzeichen für eine Annäherung zwischen den 5 Sternen und dem linken Partito Democratico (PD), der bis Mai 2018 regierte. Eine solche Allianz könnte etwa auf die Erarbeitung eines Budgets, die Verabschiedung der zur abschließenden Entscheidung vorliegenden Wahlrechtsreform und die Abwendung einer Mehrwertsteuerreform zielen. Rom hatte sich dazu gegenüber Brüssel verpflichtet – falls keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten zur Reduzierung des Defizits gefunden werden sollten.Zwar droht das Defizit auszuufern, aber in ihrer Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung sind sich PD und 5 Sterne einig. Sonst trennt sie fast alles. Die beiden Parteien sind unterschiedlicher Meinung über den Bau der Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Turin und Lyon, die Grundsicherung, das Vorziehen des Rentenalters, die Wahlrechtsreform und in vielem mehr. Einig sind sie sich in der Ablehnung Salvinis und vorzeitiger Wahlen. Doch ein solches Bündnis, das noch vor Tagen unmöglich erschien, könnte theoretisch sogar bis zum Ende der Legislaturperiode regieren.Salvini braucht Bündnispartner, stößt dabei aber auf Schwierigkeiten. Außer um die rechtsextremen Fratelli d’Italia wirbt er auch um Berlusconis Forza Italia. Doch viele von deren Vertretern trauen Salvini nicht und lehnen die von ihm vorgeschlagene Einheitsliste bei Wahlen ab.Unterdessen verdüstern sich die wirtschaftlichen Aussichten des Landes. Das Wachstum stagniert, die Aktienkurse fallen und die Refinanzierung von Staatsanleihen wird immer teurer. Gleichzeitig steigen die Ausgaben, die nicht gegenfinanziert sind. Die geplanten Privatisierungserlöse von 18 Mrd. Euro waren Luftbuchungen und kostspielige Ausgaben wie das Vorziehen des Mindestalters für den Rentenbezug, die Grundsicherung und Steuersenkungen belasten das Budget. Das Land steuert auf ein Budgetdefizit von deutlich über 3 % und eine Schuldenquote von 135 % zu. Keine guten Aussichten für Italien und für Europa.