PERSONEN

Chef-Geldpolitiker von Erdogans Gnaden

Von Stefan Reccius, Frankfurt Börsen-Zeitung, 21.11.2020 Kaum hat der neue türkische Zentralbankpräsident Naci Agbal seine Bewährungsprobe an den Finanzmärkten bestanden, richtet sich der Blick von Analysten und Anlegern bereits nach vorne. Am...

Chef-Geldpolitiker von Erdogans Gnaden

Von Stefan Reccius, FrankfurtKaum hat der neue türkische Zentralbankpräsident Naci Agbal seine Bewährungsprobe an den Finanzmärkten bestanden, richtet sich der Blick von Analysten und Anlegern bereits nach vorne. Am Donnerstag sorgte Agbal, keine zwei Wochen im Amt, für Erleichterung, indem das Notenbankkomitee unter seiner Leitung den Leitzins in der Türkei kräftig um 4,75 Prozentpunkte auf 15 % nach oben schraubte. Der Lira hat das zusätzlichen Halt gegeben, nachdem die Landeswährung im laufenden Jahr bis zu zwei Fünftel ihres Wertes zum Dollar verloren hatte.Der 52 Jahre alte Politiker der Regierungspartei AKP ist der personelle Ausdruck einer spektakulären Kehrtwende von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in der Wirtschafts- und Währungspolitik. Vor zwei Wochen verkündete Erdogan aus heiterem Himmel die Abkehr von seinem Niedrigzinsdiktat, das über Monate die Lira im freien Fall, die Inflation im zweistelligen Bereich und die Finanzmärkte in Atem gehalten hatte. Erdogans Sinneswandel begleiteten ebenso unvorhergesehene Wechsel an der Spitze von Zentralbank und Finanzministerium.Unter Erdogan ist das höchste Amt in der Geldpolitik zu einem Schleudersitz geworden. Agbal ist der inzwischen vierte Notenbankgouverneur seit 2016. Die Art des Staatschefs, den obersten Geldpolitiker des Landes nach Gutdünken auszutauschen, wird nicht nur an den Finanzmärkten, sondern auch in juristischen Kreisen argwöhnisch verfolgt. Der Verfassungsrechtler Cem Tecimer weist darauf hin, das wiederholte Austauschen des Notenbankpersonals per Dekret verstoße gegen das türkische Notenbankgesetz, das dem Staatspräsidenten diese Möglichkeit in lediglich zwei Fällen zugesteht: Wenn der amtierende Chef gegen Verbote wie Besitz und Handel von Bank- und Firmenanteilen verstößt oder sein Amt wegen Krankheit oder Tod nicht weiter ausüben kann.Das hielt Erdogan nicht davon ab, Agbals Vorgänger Murat Uysal nach weniger als 18 Monaten im Amt zu feuern. Uysal war bis dato strikt der von Erdogan vorgegebenen Linie gefolgt und hatte den Leitzins nach mehreren Abwärtsschritten im Spätsommer ein einziges Mal um – für türkische Verhältnisse läppische – 2 Prozentpunkte angehoben. Das erwies sich als völlig unzureichend, um den Lira-Ausverkauf einzudämmen und die Inflationsrate wie angestrebt in den einstelligen Bereich zurückzuführen. Stattdessen ließ Uysal im Rekordtempo Fremdwährungs- und Goldreserven auf den Markt werfen, was sich weder als taugliche noch als nachhaltige Strategie entpuppte. Einst FinanzministerAuf Geheiß Erdogans darf Agbal nun versuchen, es besser zu machen. Der Politikwissenschaftlicher ist von Haus aus weder Ökonom noch Geldpolitiker, sondern Finanzbeamter. Er machte Karriere im Finanzministerium. Seit den Parlamentswahlen Mitte 2015 ist Agbal Parlamentsabgeordneter. Im Anschluss an die Neuwahl im November 2015 wurde er von Ministerpräsident Ahmet Davutoglu zum Finanzminister berufen, behielt den Job aber nur für kurze Zeit.Agbal gilt als Vertrauer Erdogans. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gab er sich bislang als loyales Sprachrohr des Staatspräsidenten, indem er fleißig dessen Beiträge teilte. Besucher finden dort einen kleinen Hinweis darauf, wie Agbal seine neue Rolle interpretiert: Kurz nach seiner Ernennung zum Notenbankchef verbreitete er eine kurze persönliche Erklärung, in der er Preisstabilität als Hauptziel seiner Amtszeit ausgibt. Entsprechend dieser Maßgabe werde die Zentralbank “alle Instrumente entschieden einsetzen”. Vertrauen zurückgewinnenMit dem jüngsten Beschluss hat Agbal zunächst geliefert und Anleger wie Analysten besänftigt. Für DZ-Bank-Chefvolkswirt Stefan Bielmeier geht es nun darum, “die jüngsten Aussagen mit Leben zu füllen”. Zentral sei, dass unter Agbal eine stärkere Unabhängigkeit “von kurzfristigen Interessen der Regierung” wahrnehmbar werde. Bielmeier sagte, den Währungshütern dürfte “klar sein, dass man Vertrauen nicht über Nacht zurückgewinnt”. Dazu bedürfe es einer angemessenen Geldpolitik über einen längeren Zeitraum. “Und sicherlich nicht ohne Grund betonen die Währungshüter in ihrer Stellungnahme, eine restriktive Geldpolitik so lange aufrechterhalten zu wollen, bis ein dauerhafter Rückgang der Inflationsrate erreicht wurde.”Den ersten Test hat Naci Agbal bestanden. Aber die nächste Bewährungsprobe ist nur einen Stimmungsumschwung im nahegelegenen Präsidentenpalast entfernt.