China-Beobachter bibbern ums Wachstumsziel

Pekinger Wirtschaftskonferenz heckt das Programm für 2014 aus: 7 oder 7,5 Prozent, das ist hier die Frage

China-Beobachter bibbern ums Wachstumsziel

Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas Regierung und Parteiführung haben sich in eine mehrtägige Klausursitzung begeben, um die wirtschaftspolitischen Leitlinien für das kommende Jahr auszuhecken. Die jährliche Economics Works Conference steht diesmal unter dem besonderen Vorzeichen der ersten Umsetzungsschritte für Chinas kürzlich vorgestellte breite wirtschaftliche und soziale Reformagenda und ist damit eine höchst komplizierte Angelegenheit. Die Marktteilnehmer jedoch kaprizieren sich auf eine einzige griffige Kernbotschaft, nämlich wie hoch die offizielle Zielvorgabe für das Wirtschaftswachstum im Jahr 2014 angesetzt wird. Bloß nicht danebenliegenIm Jahr 2012 war das chinesische Wachstumsziel vor der Kulisse einer sich abkühlenden Wirtschaft vom jahrzehntelang gängigen Mindestziel bei 8 % wohlweislich auf 7,5 % reduziert worden. Wenn es etwas gibt, was Peking gar nicht schmeckt, dann ist es die Verfehlung eines öffentlich gemachten Planziels. Hier gilt es, die Aura eines präzise und erfolgreich staatsgelenkten Wirtschaftssystems zu verteidigen. Tatsächlich kam man im Jahr 2012 nicht über 7,7 % Wachstum des Bruttoinlandsprodukts hinaus und dürfte auch 2013 auf dieser Marke landen. Das sind zwar die niedrigsten Werte seit Ende der achtziger Jahre, aber man hat es sich nach den Erfahrungen aus Stimulierungsexzessen zur Behebung der Auswirkungen der Finanzkrise abgeschminkt, Chinas Wirtschaftswachstum mit aller Gewalt weiter anzukurbeln. Schmerzhafte AnpassungenDie im Frühjahr angetretene neue Regierung um Premierminister Li Keqiang, hat sich der Bereitschaft zu im Zweifelsfall schmerzhaften Anpassungen der Wirtschaftsstruktur verschrieben, um China ein nachhaltigeres und nicht zuletzt auch umweltverträglicheres Wachstumsmodell anzugedeihen. Sie ist jedoch bei allen Bekenntnissen zum Hinarbeiten auf eine stärker konsum- statt investitionsgetriebene und im Zweifelsfall weniger exportabhängige Wirtschaft nicht bereit, auf bewährte Wachstumstreiber wie das Ankurbeln öffentlicher Infrastrukturprogramme zu verzichten.Ein Dämpfer in der Bauwirtschaft könnte die chinesischen Wachstumsraten rasch unter die 7-Prozent-Marke schicken. Dass dies die letzte Verteidigungslinie beziehungsweise gerade noch tolerierbare Untergrenze darstellt, steht außer Zweifel. Premier Li hat allerdings in einem Redebeitrag in diesem Herbst implizit eine andere Marke gesetzt: Er betonte nämlich, dass China mindestens 7,2 % BIP-Expansion brauche, um das Beschäftigungswachstum zu sichern, beziehungsweise die nur für urbane Gebiete veröffentlichte (und seit Jahren “verdächtig stabile”) Arbeitslosenquote bei 4 % zu halten.Man weiß also nun, wo der Schmerzpunkt liegt, aber man weiß nicht, wie Peking die Erwartungen zu steuern gedenkt, in dem man die Zielvorgabe für 2014 bei 7 % (sprich China muss den Gürtel enger schnallen) oder 7,5 % (sprich: business as usual) ansetzt. Bei den drei führenden chinesischen Think Tanks sprechen sich zwei für ein Ziel bei 7 % und einer für 7,5 % aus. Börsianer kriegen das ZitternIm Analystenlager wiederum ist man geteilter Meinung, ob ein Herunterschrauben des offiziellen Wachstumsziels auf 7 % einen haltbaren Anpassungs- und Reformzwang signalisiert oder aber auf dem Wege einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung das Wirtschaftsvertrauen eher lähmt.Für Letzteres sprechen vielleicht die Reaktionen am chinesischen Aktienmarkt. Gerüchte, dass die Economics Works Conference einem niedrigeren Wachstumsziel zuneigt, schickten am Mittwoch den marktbreiten Hauptindex an der Börse Schanghai um 1,5 % in die Tiefe. Der Hang Seng China Enterprises Index an der Hongkonger Börse korrigierte gar um 2,8 %. An den Märkten wird also förmlich gezittert, dass sich nichts verändern möge. GeduldsspielErfahren wird man den weisen Ratschluss der Economics Works Conference übrigens noch lange nicht. Die feierliche Verkündung des Wachstumsziels obliegt nämlich dem Premier bei der Vorlage des jährlichen Regierungsberichts beim Volkskongress im März. Das hat den unschätzbaren Vorteil, mit dem Wissen um den Trendverlauf der Konjunktur im ersten Quartal eine Marke zu setzen, die man in jedem Fall glaubt einhalten zu können. Abgesehen davon hindert aber nichts den Regierungschef daran, der Fixierung auf eine Zahl ein Ende zu bereiten, indem er einfach eine Bandbreite verkündet: Dann soll Chinas Wirtschaft im Jahr 2014 halt eben ganz offiziell zwischen 7 und 7,5 % zulegen.