IM INTERVIEW: HORST LÖCHEL, FRANKFURT SCHOOL OF FINANCE & MANAGEMENT

"China will nicht den Export schützen"

Der Asienkenner hält den Kapitalabfluss aus der Volksrepublik für beherrschbar - Faule Kredite ein Problem - Renminbi-Schwäche bremst Offshore-Hub Frankfurt

"China will nicht den Export schützen"

Lange wurde China als globaler Wachstumsmotor gesehen. Nun scheinen die Sorgen zu überwiegen, dass der Regierung die Kontrolle entgleitet und Kapitalabflüsse sowie faule Kredite Probleme schaffen. Die Börsen-Zeitung wollte vom China-Kenner Horst Löchel von der Frankfurt School wissen, wie er die Lage beurteilt.- Herr Löchel, Kapitalabflüsse aus Schwellenländern sorgen Investoren allerorts. Welchen Anteil hat China daran?Seit die US-Notenbank etwa Mitte 2013 angekündigt hat, ihre Politik der quantitativen Lockerung zurückzufahren, sehen wir Kapitalabflüsse aus Schwellenländern – auch aus China. Zum Jahresende hat sich dies durch die Anhebung der kurzfristigen Zinsen in den USA und die damit verbundenen größeren Renditendifferenzen weiter beschleunigt. Das ist kein chinaspezifisches Phänomen, aber China ist das größte und wirtschaftlich erfolgreichste Land unter den Schwellenländern, das davon betroffen ist.- Führt China einen Währungskrieg?Die chinesische Regierung hat kein Interesse an einer Abwertung, sondern wegen der Kapitalabflüsse eher ein Interesse an einem stärkeren Renminbi. China will nicht den Export schützen, schon gar nicht den Billiglohnsektor, sondern Kapitalabflüsse verhindern. Das Land ist auf Zuflüsse aus dem Westen, teils verbunden mit Know-how-Transfer, angewiesen. Ich bestreite nicht, dass es hier ein Problem gibt, aber die Dimension davon wird übertrieben. Tatsächlich hat die chinesische Währung in den vergangenen Monaten gegen den effektiven Wechselkurs der fünfzehn wichtigsten Handelspartner nicht abgewertet. Das Problem ist die Stärke des US-Dollars.- Droht ein Wachstumseinbruch?Seit der teilweisen Freigabe des Wechselkurses 2005 hat der Renminbi zehn Jahre lang kontinuierlich aufgewertet. Das ist nun erst mal vorbei, da auch klar ist, dass das Wachstum nie mehr so hoch sein wird wie früher. Das Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch gewachsen. Insofern ist es ein natürlicher Prozess, dass die Wachstumsrate nun kontinuierlich sinkt. Durch die Industrialisierung fällt auch der große Vorteil einer industriellen Revolution, also höhere Produktivität durch höheren Kapitaleinsatz, immer geringer aus. Das drückt die Wachstumsrate zusätzlich, weil es Investitionen unrentabler macht. Gleichzeitig gibt es teils enorme Überkapazitäten in der Industrie, vor allem in den Staatsbetrieben.- Das klingt nicht sehr gut.Wir müssen sehen, wie die chinesische Führung damit umgeht. Schließlich haben behördliche Eingriffe in die Börse und eine ungenügende Kommunikation im Zusammenhang mit der Umstellung des kontrollierten Währungssystems zusätzliche Unsicherheit geschaffen.- Was, wenn die Devisenreserven unter die Grenze sinken würden, die der Internationale Währungsfonds empfiehlt und die laut Analysten bei rund 2,8 Bill. Dollar liegt?Vereinzelte Hedge Funds spekulieren darauf, aber das sehe ich nicht als wirklich ernsthaftes Risiko. China hat ausreichend Reservemunition. Die Zentralbank hat etwa im Januar quasi den Offshore-Renminbi-Markt in Hongkong leergekauft, um die Wechselkursdifferenzen zwischen Onshore- und Offshore-Renminbi zu eliminieren. Theoretisch könnten die Devisenreserven eines Tages aufgebraucht sein. Dann wäre ein Kampf gegen eine weitere Abwertung tatsächlich nicht mehr zu verhindern. Aber wie realistisch ist ein derartiges Szenario? Ich gehe grundsätzlich von einem positiven wirtschaftlichen Entwicklungsszenario aus. Die Märkte werden sich daran gewöhnen, dass China in den nächsten drei bis fünf Jahren mit gut 5 % pro Jahr wächst und damit deutlich mehr als die westlichen Volkswirtschaften. Das wird den Abwertungsdruck nachhaltig vermindern und die Kapitalabflüsse stoppen.- Was macht Sie so zuversichtlich?Chinas Wirtschaftspolitik ist auf dem richtigen Weg, der Servicesektor und der private Konsum legen zu, Industrie und Exporte schrumpfen. Die Wirtschaftspolitik wird als Nächstes wohl auch die Überkapazitäten der staatlichen Betriebe abbauen und Effizienz sowie Produktivität erhöhen. Technologie, Innovationen und Service stehen im Osten des Landes verstärkt auf der Agenda. Im Westen dürfte die industrielle Revolution noch ein Stück weitergehen.- Wie kann das Land mit der unmöglichen Trilogie einer unabhängigen Geldpolitik, eines gemanagten Wechselkurses und freien Kapitalverkehrs klarkommen?Durch Kapitalverkehrskontrollen lässt sich dieses Trilemma einigermaßen im Griff behalten. China ist ein fortgeschrittenes Entwicklungsland, am unteren Rand der mittleren Einkommensskala, auf Platz 89 der Welt im Pro-Kopf-Einkommen. Das Land hat mit 1,4 Mrd. Menschen weiterhin Nachholbedarf. Ich glaube, es ist durchaus angemessen, diesem Land auch eine andere Politik zuzugestehen als den entwickelten Marktwirtschaften im Westen mit freiem Kapitalverkehr.- Es gibt Stimmen, die den Umbau in China für falsch halten und den Abschied von der Industrialisierung als verfrüht erachten.Die Regierung muss eine angebotsorientierte, strukturell ausgerichtete Politik verfolgen. Natürlich muss man aufpassen, dass das Wachstum konjunkturell nicht durchsackt, aber davon kann bei einer Wachstumsrate von gegenwärtig fast 7 % nicht die Rede sein. Auch gibt es weiter ein erhebliches Investitionspotenzial, damit die Infrastruktur im Westen des Landes zu der im Osten aufholt.- Sie haben die Überkapazitäten angesprochen. Wer trägt die Verluste, die dabei entstehen werden?Es werden nicht alle Kredite zurückgezahlt werden, die nach der globalen Finanzkrise geschaffen worden sind. Momentan werden solche Problemkredite von den chinesischen Banken oft verlängert, statt dass sie abgeschrieben werden. Offiziell betragen die notleidenden Kredite weniger als 2 % der Bilanzsumme der Banken. Unabhängige Beobachter gehen eher von etwa 10 % aus. Im Moment ist vor allem der Unternehmenssektor verschuldet. Der Staat ist mit etwa 50 % des Bruttoinlandsprodukts – die privaten Haushalte noch weniger – relativ zu westlichen Verhältnissen kaum verschuldet. Zu erwarten ist, dass die Regierung wieder – wie 2004 und 2005 – Problemkredite der Staatsbanken aufkauft. Aber das kann keine Dauerlösung sein, immerhin handelt es sich um Steuergeld. Das birgt Konfliktpotenzial, wenngleich die Regierung das Geld hat, um die Banken erneut herauszukaufen.- Also gibt es eine Staatsgarantie?Es gibt eine implizite und explizite Garantie, ja. Die chinesischen Behörden verstehen aber inzwischen, dass in Staatsgarantien ein falscher Anreiz liegt. Hier liegt ein Antrieb für weitere Privatisierung und damit für mehr Marktwirtschaft in China.- China wird nicht das Epizentrum der nächsten Finanzkrise?Davon kann keine Rede sein. Ich habe mit vielen Chinesen und vielen Ausländern gesprochen, die in China Geschäfte machen. Sie dürfen das Glück der großen Zahl nicht vergessen. Ich kenne ausländische Privatbanken in China, die mit einem Marktanteil von unter 1 % mehr als dreimal so viel Gewinn machen wie in Deutschland mit einem Marktanteil von 10 %. Sicher sind die ganz großen Zeiten vorbei. Aber dass die Geschäfte in China weiter besser laufen werden als im Westen, daran habe ich keine Zweifel.- Was sind die Folgen des schwächeren Wachstums in China auf die Weltwirtschaft?Chinas Anteil am Wachstum der Weltwirtschaft macht etwa ein Drittel aus, dies hat natürlich einen Einfluss auf alle. Aber das sinkende chinesische Wachstum macht für Deutschland oder Frankreich vielleicht um die 0,2 bis maximal 0,4 Prozentpunkte im Jahraus.- Erwarten Sie Zweitrundeneffekte durch fallende Rohstoffpreise, etwa in Bankbilanzen?Es ist trivial, dass alles mit allem zusammenhängt, und dies wiederum mit China in Zusammenhang zu bringen. Sicher braucht China weniger Rohstoffe, aber das ist nicht über Nacht geschehen, sondern das sehen wir schon seit fast zwei Jahren. Zudem nimmt die Nachfrage nach Öl nicht mehr weiter ab, sondern eher das Angebot zu. Was die Bankbilanzen betrifft, muss man sich wohl an die eigene Nase fassen. Offenbar gibt es Institute, welche die letzten paar Jahre geschlafen haben. Mit einer Wachstumsrate von oberhalb 5 % könnte sich China auch in Zukunft eher als ein Anker für Stabilität und Wachstum erweisen als umgekehrt.- Zuletzt haben größere Übernahmen aus China für Schlagzeilen gesorgt – wie im Fall des Düngemittelkonzerns Syngenta, der von Chemchina geschluckt werden soll. Was erwarten Sie noch?Ich sehe weiter Interesse vor allem von Hightech-Unternehmen aus China. An deutschen Unternehmen interessiert chinesische Unternehmen vor allem, wie es ihnen gelingt, als globale Hidden Champions zu existieren, ohne an der Börse oder weltweit bekannt zu sein. Chinesische Unternehmen wollen zu Weltmarktführern aufsteigen. Das schwächere Wachstum in China ist ein zusätzlicher Anreiz, von deutschen Erfolgsgeschichten und deutschem Management und Technik zu lernen.- Was bedeutet dies für den Renminbi-Hub in Frankfurt?Ich glaube nicht, dass die chinesische Regierung mit einer Abwertung Deflation exportieren will, aber chinesische Unternehmen sind daran interessiert, das Wechselkursrisiko durch eine Fakturierung in Renminbi auf ihre Exporteure und Handelspartner abzuwälzen. Für den Renminbi-Hub wäre es natürlich besser, wenn der Wechselkurs weiter steigen würde. Wer will schon in eine Währung investieren, die unter Abwertungsdruck steht? Es gibt bisher relativ wenig konkrete Zahlen für die Entwicklung des Offshore-Hubs in Frankfurt. Was man hört, sind die Umsätze bisher nicht wirklich hoch. Der deutsche Mittelstand ist noch nicht wirklich in Frankfurt angekommen, und für die großen Konzerne wiederum spielt es keine Rolle, ob sie ihre Renminbi-Geschäfte in Hongkong oder Frankfurt abwickeln. Wir wünschen uns natürlich Frankfurt.—-Das Interview führte Dietegen Müller.