Bruttoinlandsprodukt

Chinas Wirtschaft wirkt müder als erwartet

Chinas Wirtschaft ist im zweiten Quartal mit 6,3% gegenüber Vorjahr weniger stark gewachsen, als von den Experten erwartet. Ein gedrosselter Konsum und Probleme am Immobilienmarkt sprechen gegen einen überzeugenden Post-Covid-Aufschwung.

Chinas Wirtschaft wirkt müder als erwartet

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Chinas viel besungener Konjunkturaufschwung nach Aufgabe der Corona-Restriktionspolitik fällt wesentlich kraftloser aus als ursprünglich erwartet. Im zweiten Quartal stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 6,3% gegenüber Vorjahr, was mit Blick auf die schwache Vergleichsbasis im Vorjahr als eine herbe Enttäuschung gilt. Im vergangenen Frühjahr nämlich war Chinas BIP-Wachstum im Zuge des harten Lockdowns in Schanghai und anderen Großstädten mit nur 0,4% Wachstum praktisch auf der Stelle getreten. Bei den Analysten hatte man aufgrund der statistischen Basiseffekte mit einem Wachstum von 7% bis 7,5% gerechnet.

Die am Montag vom Pekinger Statistikbüro parallel verbreiteten monatlichen Indikatoren für Juni zeigten ein gemischtes Bild. Einerseits gab es einen deutlichen Rückgang des Wachstums der Einzelhandelsumsätze. Sie stiegen im Juni nur um 3,1% gegenüber Vorjahresmonat, während man in den Monaten zuvor teilweise auf zweistellige Wachstumsraten kam. Allerdings bedeutet ein Wachstum der Industrieproduktion von zuletzt 4,4% eine positive Überraschung; hier hatten die Analysten nur mit einem Plus von 2,5% gerechnet. Demgegenüber manifestiert sich eine weitere Abschwächung des Immobilienmarktes, mit stark rückläufigen Investitionen im Sektor.

Der neue BIP-Ausweis verstärkt den Eindruck, dass die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft nach einem kräftigen Erholungsschub im direkten Nachgang zum Ausstieg aus der sogenannten Null-Covid-Politik seit Frühjahrsbeginn zunehmend an Schwung verloren hat. Dies zeigt sich beim Blick auf das sequenzielle Wachstum. Im direkten Vergleich zum Vorquartal ist das BIP zuletzt nur um 0,8% gewachsen, ein für chinesische Verhältnisse ungewöhnlich niedriger Wert. Im ersten Quartal 2023 sah man auf Jahresbasis gerechnet einen BIP-Anstieg von 4,5%, aber ein wesentlich höheres sequenzielles Wachstum von 2,2%.

Schwache Binnennachfrage

In den vergangenen Monaten hat das von der Pekinger Regierung gezeichnete Bild eines nachhaltigen konsumgeleiteten Aufschwungs, der stetig weiter an Fahrt gewinnt, einige Kratzer bekommen. Als Hauptproblem gilt eine prononcierte Nachfrageschwäche, die den erhofften Aufholeffekten nach Beendigung der Corona-Restriktionen im Dezember entgegensteht. In Verbindung mit einer starken Deflation der Erzeugerpreise ist Chinas Industriesektor trotz einiger Lichtblicke, wie beispielsweise der heimischen Elektroautoproduktion, nicht richtig in Schwung gekommen. Dabei machen sich auch Schleifspuren in der unter globaler Nachfrageschwäche leidenden Exportwirtschaft bemerkbar. Zuletzt im Juni etwa waren Chinas Ausfuhren um gut 12% gegenüber Vorjahresmonat gesunken.

Chinas Dienstleistungssektor wiederum konnte zwar einen partiellen Boom in Bereichen wie Tourismus, Gastronomie und Unterhaltung verzeichnen, allerdings hat sich der Konsum auf breiter Basis weniger dynamisch entwickelt als erwartet. Dabei machen sich vor allem die Zurückhaltung bei größeren Anschaffungen sowie die anhaltende Schwäche des von Verschuldungsproblemen führender Immobilienentwickler destabilisierten Immobilienmarktes negativ bemerkbar.

Aus dem insgesamt schwachen Wirtschaftsvertrauen resultiert ein fühlbarer Rückgang der privaten Investitionen, der mit der Ankurbelung von öffentlichen Infrastrukturprojekten allein nicht kompensiert werden kann. Abgesehen davon sorgen in der Pandemiezeit verschärfte Verschuldungsprobleme auf Lokalregierungsebene dafür, dass die Spielräume zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums über öffentliche Anlageinvestitionen begrenzt sind.

Auf dem Volkskongress im März hatte die Regierung trotz aller Vorschusslorbeeren zur chinesischen Post-Covid-Erholung ein sehr moderates offizielles Wachstumsziel für das Jahr 2023 bei etwa 5% gesetzt. Für die erste Jahreshälfte verzeichnet man nach 4,5% Wachstum im ersten Quartal und 6,3% im zweiten Quartal einen BIP-Anstieg von 5,5%, liegt also gewissermaßen im Plan. Allerdings fällt der von Basiseffekten herrührende Puffer wesentlich schmaler als erwartet aus, so dass das ursprünglich als sehr komfortabel angesehene Wachstumsziel im Falle eines fortgesetzten Dynamikverlustes in den kommenden Monaten sogar in Gefahr geraten könnte. Entsprechend werden Rufe nach beherzteren fiskalischen und monetären Impulsen zur Stützung der Wirtschaft lauter. Eine für Ende des Monats geplante Wirtschaftsklausursitzung des Politbüros gilt als nächster Orientierungspunkt für die Märkte. Grundsätzlich allerdings sind die Aussichten auf ein kräftiges Stimulierungsprogramm zur temporären Wachstumsankurbelung allein schon wegen der Verschuldungsproblematik auf Lokalregierungsebene eher begrenzt.

| Quelle:

Chinas Wirtschaft zeigt sich kraftlos

BIP-Wachstum im zweiten Quartal enttäuscht – Klarer Dynamikverlust wirft Stimulierungsfrage auf

Chinas Wirtschaft ist im zweiten Quartal mit 6,3% gegenüber Vorjahr weniger stark gewachsen als von den Experten erwartet. Ein gedrosselter Konsum und Probleme am Immobilienmarkt dämpfen die Hoffnungen auf einen überzeugenden Post-Covid-Aufschwung. Forderungen nach Stimuli werden lauter.

nh Schanghai
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