China zeigt Nerven
China fällt es zunehmend schwerer, im Handelsstreit mit den USA eine auf der Stärke der heimischen Wirtschaft beruhende Gelassenheit an den Tag zu legen. An den Finanzmärkten ist die Stimmung in Vorwegnahme einer immer heftiger geführten bilateralen Auseinandersetzung zunehmend vergiftet. Pekings Wirtschaftslenker stehen vor einer Gratwanderung. Man will einerseits rechtzeitig Impulse setzen und die Märkte liquide halten, andererseits tunlichst den Eindruck vermeiden, dass man sich in einem von US- Drohungen losgetretenen Krisenmodus befindet. Ein gewisser Zwiespalt zeigt sich auch im Rahmen der nun angekündigten Mindestreservesatzsenkung. Offiziell geht es in erster Linie darum, einen realwirtschaftlichen Impuls mit der gezielten Anregung der Kreditvergabeaktivität an kleine Unternehmen zu setzen. Tatsächlich aber sieht man einen wesentlich breiter angelegten Entlastungsschritt, mit dem gehörig Liquidität bei den größten Banken des Landes freigesetzt wird. Damit versucht man die seit der vergangenen Woche von neuen Drohungen zu Strafzollmaßnahmen der US-Regierung aufgeschreckten Anleger mit Liquiditätstrostpflastern zu beruhigen. Ein solches Lockerungssignal konterkariert aber in gewisser Weise die von der Prioritätensetzung vor allem auf strenge Finanzstabilitätsüberwachung und Verschuldungsdämpfung gemünzte geldpolitische Linie im Reich der Mitte. Bereits in der vergangenen Woche hatte die Zentralbank mit einem Liquiditätsschub am Geldmarkt auf eine erste Schockwelle an den Börsen reagiert. Dies half, eine Panikstimmung unter chinesischen Kleinanlegern zu unterbinden. Doch bleibt das Sentiment schwach. Peking könnte sich gezwungen sehen, immer neue Bonbons an die Anleger zu verteilen, weil sich Staat und Partei als Schützer der Kleinanleger verstehen, denen es gelingt, starke Börseneinbrüche zu verhindern oder zumindest schnell wieder zu reparieren. Das ist eine heikle Angelegenheit, weil eine Abkehr von der bislang sehr erfolgreichen härteren geldpolitischen Linie und Finanzstabilitätskampagne sowie ein Rückfall in die schlechte Gewohnheit eines schnellen Verschuldungsaufbaus drohen. Im weiteren Jahresverlauf könnte China immer mehr dazu verleitet werden, wieder auf tradierte Stimulierungskonzepte mit gefährlichen Nebenwirkungen zurückzugreifen. Dies würde zwar verhindern, dass der Handelskonflikt allzu sichtbar auf die Konjunkturdynamik abfärbt, gleichzeitig aber Fortschritte beim wirtschaftlichen Reformkurs untergraben.