Chinas Wirtschaft steht vor neuer Abkühlung

Ökonomen erwarten 2017 weniger Wachstum - Schwächerer Immobilienmarkt belastet - Neutrale Geldpolitik avisiert

Chinas Wirtschaft steht vor neuer Abkühlung

Von Norbert Hellmann, SchanghaiNach einer eher unerwarteten Festigung der chinesischen Konjunktur in diesem Herbst dürfte die Wirtschaft des Landes schon bald wieder auf eine Abkühlungstendenz umschwenken – so lautet das Fazit einer Reihe aktueller Prognosen für den chinesischen Konjunkturverlauf im Jahr 2017. So rechnen die von Bloomberg regelmäßig befragten Ökonomen für 2016 zwar mit einer Stabilisierung des chinesischen Wachstums von 6,7 %. Sie gehen aber gleichzeitig davon aus dass die chinesische Wirtschaft 2017 erneut abkühlt und das Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf 6,4 % sinkt (siehe Grafik). Tanz um die 6,5 ProzentIn der Sichtweise der westlichen Ökonomen steht das offizielle Wachstumsziel der Regierung, das für 2017 aller Voraussicht nach erneut auf einen Korridor zwischen 6,5 und 7 % festgelegt werden dürfte, also vor einer harten Bewährungsprobe. Auch die Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank für China laufen für 2017 auf Werte knapp unter der Marke von 6,5 % hinaus. Chinesische Ökonomen sind nur unwesentlich positiver gestimmt. Sie gehen aber immerhin davon aus, dass zumindest die Untergrenze der jährlichen Wachstumsziele und die auch im Fünfjahresplan verankerte Mindestwachstumsvorgabe für Chinas BIP von 6,5 % in den kommenden Jahren noch erreicht wird.Besondere Aufmerksamkeit wird der neuen Prognose der China Academy of Social Sciences (CASS) geschenkt. Bei der CASS handelt es sich zwar um einen staatlichen Think-Tank, dem aber ein hohes Maß an Eigenständigkeit zugebilligt wird und der in der Regel eine recht hohe Prognosequalität aufweist. Im nun veröffentlichten “Blaubuch” der CASS wird der chinesischen Wirtschaft grundsätzlich ein recht robuster Konjunkturverlauf mit stabilen Beschäftigungsraten und einem nur moderaten Inflationsauftrieb bescheinigt.Als magische Zahl für das BIP-Wachstum im Jahr 2017 wählen die CASS-Researcher jene als vertretbare Untergrenze angesehenen 6,5 %. Damit wird der Konjunktur im Reich der Mitte aber dennoch wachsender Abkühlungsdruck bescheinigt, wobei CASS für die ersten beiden Quartale ein BIP-Wachstum von mindestens 6,5 % erwarten, das sich in der zweiten Jahreshälfte dann aber auf 6,4 % ermäßigen dürfte.Als wichtigster Grund für eine anhaltende Abkühlungstendenz gilt ein mögliches schwächeres Wachstum der Anlageinvestitionen, wobei sich insbesondere Zurückhaltung in der Privatwirtschaft bemerkbar macht. Nach elf Monaten des laufenden Jahres sind die privaten Anlageinvestitionen nur um 3,1 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum gewachsen, während es im vergangenen Jahr noch einen Anstieg von 7,2 % gegeben hatte. Mit der jetzt wieder einsetzenden Dämpfung der Wohnimmobilienpreise dürfte es auch zu einer Verringerung der Investitionen im Sektor kommen, gleichzeitig muss man davon ausgehen, dass die chinesische Bauwirtschaft an Schwung verliert.Allerdings werden die Wirtschaftslenker mit dem Forcieren staatlicher Anlageinvestitionen und von Infrastrukturprojekten versuchen, dagegenzuhalten. Bei der CASS wird die Notwendigkeit einer “proaktiven” Fiskalpolitik und einer Ausweitung des Budgetdefizits zur Stabilisierung der Konjunktur unterstrichen. Gleichzeitig regen die Researcher verstärkte Anstrengungen zur steuerlichen Entlastung von Kleinunternehmen und eine generelle Reform der Einkommensbesteuerung an.Einig sind sich die Ökonomen darin, dass die Steuerung des Immobilienmarktes wesentlichen Einfluss auf den Konjunkturtrend ausüben wird. So zeigen die seit Herbst eingeleiteten, staatlich orchestrierten Preisdämpfungsmaßnahmen und Restriktionen für Wohnimmobilienspekulationen immer deutlichere Wirkung. Die Regierung hatte nach einem heftigen Preisanstieg und einem Hypothekenfinanzierungsboom die Bekämpfung von Assetpreisblasen zu einem zentralen Thema gemacht.Bekräftigt wird dies auch in der Abschlusserklärung einer Klausursitzung der Kommunistischen Partei und der wichtigsten Ausschüsse zur Wirtschafts- und Finanzplanung, mit der die konjunkturpolitische Linie für 2017 abgestimmt wird. Jedenfalls wird darin die Stabilisierung der Wirtschaft und die Kontrolle über Preisblasen und Finanzrisiken zu den wichtigsten Zielen erklärt. Das Angehen von Reformen und Restrukturierungsaspekten etwa zur Bekämpfung der Überkapazität in der Schwerindustrie dürfte etwas in den Hintergrund treten, urteilen Analysten. Wende in der GeldpolitikDie neue Prioritätensetzung scheint sich auch in der Betonung einer vorsichtigeren geldpolitischen Linie niederzuschlagen. Im Kommuniqué heißt es, dass die chinesische Geldpolitik 2017 “vorsichtig” und “neutral” gestaltet werde. China-Ökonomen sehen darin eine leichte Akzentverschiebung, nachdem 2016 von einer “akkommodierenden” Geldpolitik die Rede war. Bereits in den vergangenen Wochen hatte sich bei den Marktteilnehmern die Erwartung breitgemacht, dass der im Herbst 2014 begonnene Zinssenkungs- und Lockerungszyklus nun ein Ende gefunden hat.