AMERIKA HAT GEWÄHLT

Chinesische Sphinx gibt sich neutral

Wahl zwischen zwei Übeln - Trumps Chaos versus Bidens Skepsis

Chinesische Sphinx gibt sich neutral

Von Norbert Hellmann, Schanghai Auch in China ist der auf Messers Schneide stehende Wahlausgang in den USA Gesprächsthema Nummer 1. Dennoch lässt sich weder aus der Resonanz in sozialen Medien noch in der stets Pekings Wünsche ausdrückenden Staatspresse eindeutig erkennen, ob das Reich der Mitte weiterhin Donald Trump oder eher Joe Biden im Weißen Haus sitzen sehen will. Seitens des chinesischen Außenministeriums wurde am Donnerstag nochmals betont, dass man völlig neutral zum Wahlausgang stehe und diesen als eine rein US-interne Angelegenheit betrachte. Man hoffe gleichzeitig auf einen reibungslosen Wahlablauf. Dies gilt als Hinweis darauf, dass Peking eine klare Vorstellung bekommen möchte, mit wem man es künftig zu tun haben wird.China hat sich in den Monaten vor der Wahl mehr oder weniger fest darauf eingerichtet, es weitere vier Jahre mit einem Präsidenten Trump aushalten zu müssen. Dieser hatte sich zwar auf die Fahnen geschrieben, China auf handels-, industrie- und geopolitischer Ebene härter zu konfrontieren, letztlich aber daraus bislang keine erkennbaren Vorteile gezogen.Sicherlich haben die Unberechenbarkeit und erratische Vorgehensweise einer von Trump geleiteten US-Administration der auf Planbarkeit fixierten chinesischen Regierung deutlich zugesetzt und es der Volksrepublik erschwert, ihre wirtschaftspolitischen Ziele klar abzustecken und zu verfolgen. Allerdings verblasst der Unberechenbarkeitsfaktor Trump vor den Herausforderungen der Corona-Pandemie. So gesehen hat Trump als Schreckgespenst in den Augen der Regierung und auch der Bevölkerung an Wirkung verloren. Das bislang äußerst erfolgreiche Navigieren der chinesischen Wirtschaft durch die Coronakrise schafft zudem ein wachsendes Selbstbewusstsein, auch künftige handels- und industriepolitische Attacken schadlos überstehen zu können. Böse ErinnerungenGrundsätzlich muss man wissen, dass die kommunistische Parteiführung seit der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen infolge des China-Besuchs des republikanischen Präsidenten Richard Nixon im Jahr 1972 mit Republikanern im Weißen Haus wesentlich besser zurechtgekommen ist als mit Demokraten. Dabei erlebten die bilateralen Beziehungen unter den Präsidenten George Bush senior und junior regelrechte Hochphasen, zumal sich China sowohl aus dem Golf- wie auch dem Irakkrieg völlig heraushielt. Unter Bill Clinton und auch Barack Obama wiederum kam es indes jeweils zu einer erheblichen Abkühlung des Klimas.China hat nicht vergessen, dass die USA unter Obamas Außenministerin Hillary Clinton und einem Vizepräsidenten Joe Biden den militärstrategisch bedeutsamen sogenannten “Asian Pivot” initiiert haben. Dieser Schwenk zur Eindämmung der Dominanz Chinas vor allem im südostchinesischen Meer und gegenüber den Anrainerstaaten ist der eigentliche Ursprung eines wachsenden Konfrontationskurses und Machtkampfs zwischen China und den USA. Ein weiterer empfindlicher Dorn im Auge der chinesischen Staatsführung war wegen geo- und handelspolitischer Aspekte zudem der von der Obama-Regierung auf die Beine gebrachte Handelspakt Trans-Pacific Partnership (TPP). Mit diesem sollte China auf asiatisch-pazifischem Terrain isoliert werden. Kurz nach seinem Amtsantritt kippte Trump den Pakt wieder.China hat also Grund zu Misstrauen, dass eine Biden-Regierung eine im Kern China-averse Außen- und Handelspolitik fahren wird. Vor allem fürchtet man, dass eine Biden-Administration dies auf effektivere und geordnete Weise umsetzen würde und dabei auch den Kreis der von Trump immer wieder düpierten westlichen und asiatischen Alliierten für sich gewinnen könnte. Dies mag freilich nicht ausreichen, um Biden per se als einen feindlichen Gegner anzusehen – ein Wunschkandidat für das US-Präsidentenamt ist er aus chinesischer Sicht aber keinesfalls.Insgeheim macht sich China sicherlich Hoffnungen, dass Trump sich in einer von Wahlkampfsorgen befreiten zweiten Amtszeit einen anderen Gegner als China sucht. Chinas Staatspresse hatte sich in der letzten Zeit vor allem darauf kapriziert, auf einen frischen Anlauf in den bilateralen Beziehungen zu setzen, und zwar unabhängig vom Ausgang der Wahl.Chinas Vize-Außenminister Le Yucheng rief am Donnerstag zu “gemeinsamen Anstrengungen” auf, um die bilateralen Beziehungen der beiden mächtigsten Staaten auf der Welt auf ein neues Fundament zu stellen. Trotz aller Differenzen zwischen China und den USA gebe es eine Fülle von gemeinsamen Interessen und genügend Raum für Kooperation. Vielleicht kann man dies doch als einen Hinweis darauf ansehen, dass sich ein vom Trump-Zwist zermürbtes China den ruhigeren Joe Biden wünscht. Denn zumindest auf rhetorischer Ebene ist er sicherlich eher geeignet, dem von China immer wieder nach außen getragenen Harmoniewunsch näherzukommen.