US-WAHLJAHR 2016

Clintons riskanter Linksruck

Wahlerfolge des Sozialisten Sanders haben die Favoritin gezwungen, ihre Positionen anzupassen

Clintons riskanter Linksruck

Am Ende mag er chancenlos sein. Dennoch hat der “demokratische Sozialist” Sanders während der US-Vorwahlen die Favoritin Clinton zu einem wirtschafts- und speziell handelspolitischen Linksruck gezwungen, für den sie im Herbst noch einen hohen Preis zahlen könnte.Von Peter DeThier, WashingtonDie wirtschaftspolitischen Programme der ehemaligen Außenministerin Hillary Clinton und ihres linksliberalen Gegners Bernie Sanders zeichnen sich von der Stoßrichtung her durch viele Gemeinsamkeiten aus. Gleichwohl befürchtet das Parteiestablishment, dass Clintons Kurswechsel auf den Gebieten der Handels- und Energiepolitik ebenso wie ihre widersprüchliche Haltung gegenüber der Wall Street ihr im Duell mit dem republikanischen Spitzenkandidaten zum Verhängnis werden könnten.Clintons Wirtschaftspolitik setzt auf eine “starke, fair und langfristig angelegte Wachstumsstrategie”. Mit Infrastrukturinvestitionen will sie neue Arbeitsplätze schaffen. Für sozialen Ausgleich will die ehemalige First Lady sorgen, indem sie Konzerne, die ihre Mitarbeiter an dem Unternehmensgewinn beteiligen, mit Steuernachlässen belohnt. Ein weiteres Anliegen ist es der ehemaligen First Lady, Unternehmen Anreize zu bieten, sich auf langfristiges Wachstum anstelle kurzfristiger Gewinnmaximierung zu konzentrieren.Während sie die Mittelklasse und Ärmere steuerlich entlasten will, plant Clinton, ihre Ausgabenprogramme mit höheren Steuern für Millionäre und einer Anhebung des Erbschaftsteuersatzes zu finanzieren. Ferner sollen Steuerabzüge mit einer Obergrenze versehen und Spekulanten mit einer Sondersteuer zur Kasse gebeten werden. Das Forschungsinstitut Tax Foundation rechnet vor, dass je nach konjunkturellem Umfeld Clintons Pläne während der kommenden zehn Jahre zwischen 191 Mrd. und 498 Mrd. Dollar an zusätzlichen Einnahmen in die Staatskasse spülen würden.Sanders würde deutlich weiter gehen. Von Investitionen, die sich allein im Bereich der Infrastruktur auf 1 Bill. Dollar belaufen, verspricht er sich 13 Millionen neue Jobs. Weitere 5,5 Mrd. Dollar will er einem Arbeitsplatzbeschaffungsprogramm für Jugendliche widmen und glaubt, auf dem Gebiet erneuerbarer Energien zusätzliche 10 Millionen Stellen schaffen zu können. Drastischer als seine Gegnerin will der selbsternannte Sozialist bei der Finanzierung vorpreschen. Den Spitzensteuersatz will er von derzeit 39,6 auf 52 % anheben. Dieser würde nach Ansicht von Experten aber unter Berücksichtigung der von einzelnen Staaten zusätzlich erhobenen Einkommensteuer sowie der Sozialversicherungssteuer, deren Obergrenze Sanders beseitigen will, faktisch bei 73 % liegen. Zudem will er Schlupflöcher für Hedge-Fond-Manager und Multimillionäre stopfen, die deren faktischen Steuersatz unter den der Mittelklasse drücken. Obwohl Sanders’ Programme rein theoretisch gegenfinanziert wären, glauben die meisten Ökonomen, dass sie ein noch tieferes Loch im Staatshaushalt aufreißen würden. Kehrtwende beim HandelZu einem Kurswechsel hat Sanders die Favoritin unter anderem in der Handelspolitik gezwungen. So hatte sich Clinton lange Zeit als Anhängerin globaler Handelsliberalisierung verkauft. Doch die unermüdliche Kampagne ihres Gegners gegen das transpazifische Freihandelsabkommen TPP hat Clinton auf die linksliberale Linie der Gewerkschaften eingeschworen. Sie lehnt TPP nun mit der Begründung ab, dass Umwelt- ebenso wie Arbeitnehmerstandards ausgehöhlt werden könnten und die Konkurrenz mit Niedriglohnländern zu Lasten amerikanischer Arbeitsplätze gehen würde.Kaum anders verhält es sich mit ihrer Kehrtwende in der Energiepolitik. Lange Zeit hatte Clinton den Bau der umstrittenen Keystone-Pipeline, die Rohöl von Kanada zur US-Golfküste befördern soll, unterstützt, meint nun aber, dass der Beschäftigungseffekt in keiner Relation stünde zum Umweltschaden als Folge des Projekts. Die schwierigste Gratwanderung hat Clinton bei der Debatte um Finanzmarktregulierung zu bewältigen. Als besonders effektiv hat sich nämlich Sanders Kritik an jenen doppelten Maßstäben erwiesen, die seine Gegnerin bei dem Umgang mit den Großbanken anwendet. Zwar kassiert sie bis zu 750 000 Dollar für einen Vortrag bei Goldman Sachs, kündigt aber später in einer Fernsehdebatte an, das Dodd-Frank-Gesetz zur Finanzmarktüberwachung beibehalten und sogar verschärfen zu wollen. Dieselben Zweifel wie Sanders, dass sie ihre großzügigsten Sponsoren wirklich an die kurze Leine nehmen würde, haben mittlerweile auch die Wähler. “Der Linksruck ist gefährlich, und ihre Haltung gegenüber der Finanzindustrie muss glaubwürdiger wirken”, ist der demokratische Senator Joe Manchin aus West Virginia, ein Clinton-Anhänger, überzeugt. Wie auch viele andere argumentiert er, dass, “wenn sie im November gewählt werden will, Hillary Clinton sich vom linken Flügel distanzieren und deutlich weiter zur Mitte bewegen muss, und zwar schnell”.