WAHLEN IN GROSSBRITANNIEN

Corbyn rettet Labour

Linker Kurs verschreckt zwar die Abgeordneten, hebt aber die Umfragewerte

Corbyn rettet Labour

Von Andreas Hippin, LondonDer linke Parteichef Jeremy Corbyn (68) hat Labour, anders als von seinen innerparteilichen Feinden erwartet, in den Meinungsumfragen zum Aufstieg verholfen. Seine Ideen sind weit weniger radikal, als die entsetzten Reaktionen auf seine Wahl zum Parteivorsitzenden vor zwei Jahren vermuten ließen. Corbyn, seit 1983 für den Londoner Wahlkreis Islington North in Westminster, ist alles andere als ein Revolutionär. Weder der Austritt aus der Nato noch die Abschaffung der Monarchie sind Forderungen in seinem Wahlprogramm. Er schaffte es aber, die Partei wiederzubeleben, die dem Vormarsch der Konservativen in die Mitte zuvor nichts entgegenzusetzen hatte.Corbyn wirkt zwar zuweilen wie ein Oberlehrer, wird aber von vielen Wählern als ehrlich wahrgenommen. Trotz seines Alters erweckt er den Eindruck, geistig jung geblieben zu sein. Seine Eltern unterstützten einst die spanischen Republikaner gegen Franco. Corbyn entwickelte sich schon früh zum politischen Aktivisten, obwohl ihm nach Besuch eines Gymnasiums andere Möglichkeiten offengestanden hätten. Mit 19 ging er für zwei Jahre mit einem Freiwilligendienst nach Jamaika.Er will die Privatisierung des Bahnverkehrs und der Royal Mail rückgängig machen und die Energie- und Wasserversorgung wieder verstaatlichen. Angesichts steigender Preise für Strom und Gas, Verspätungen und Zugausfällen haben viele ein offenes Ohr dafür. Banken und diejenigen, die mehr als 80 000 Pfund im Jahr verdienen, müssten sich unter Corbyn auf höhere Steuern einstellen. Die Privatisierung von Teilen des Gesundheitswesens würde umgehend beendet. Die verhassten Studiengebühren sollen wegfallen.Beim Thema Zuwanderung, das eine große Rolle bei der Entscheidung für den Brexit spielte, vertritt Labour eine ganz andere Politik als die Tories. Labour will die Rechte derjenigen schützen, die bereits in Großbritannien arbeiten, ungeachtet ihrer Herkunft. “Flüchtlinge sind keine Zuwanderer”, so das Wahlprogramm. Das Land werde unter Labour seiner moralischen Verantwortung gerecht und werde eine “faire” Zahl von Flüchtlingen aufnehmen. Für Brüssel ist Corbyn kein Verbündeter. Er stimmte beim Referendum über die EU-Mitgliedschaft 1975 gegen den Eintritt der Briten und war vor der jüngsten Volksabstimmung kaum dazu zu bewegen, sich für einen Verbleib auszusprechen. “Labour akzeptiert das Ergebnis des Referendums”, heißt es im Wahlprogramm. “Eine Labour-Regierung wird das nationale Interesse an die erste Stelle setzen.”Corbyn will die Macht des Schatzkanzlers beschneiden und das Wirtschaftsministerium stärken. Ein “Nationaler Transformationsfonds” soll binnen zehn Jahren 250 Mrd. Pfund in die Infrastruktur des Landes investieren, um für mehr Wirtschaftswachstum zu sorgen. Eine “Nationale Investitionsbank” soll mit 250 Mrd. Pfund ausgestattet werden und einem ganzen Netz von lokalen Förderbanken Mittel zur Verfügung stellen. Die Royal Bank of Scotland könnte zerschlagen werden, um daraus öffentliche Banken in den Regionen zu schaffen.