Corona dämpft die Kampfeslust
ast Frankfurt
Das Jahr 2020 ist laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln in Sachen Tarifverhandlungen das friedlichste seit 2005 gewesen. Den Wissenschaftlern zufolge führten die Corona-Pandemie und die damit verbundene Stilllegung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens dazu, dass weniger Tarifkonflikte eskalierten als sonst. Demnach blieb es sogar in der Metall- und Elektroindustrie, in der laut IW „üblicherweise hart verhandelt wird“, ruhig.
Von Gewerkschaftsseite wird aber ein differenzierteres Bild des vergangenen Tarifjahrs gezeichnet. Zwar wird etwa die ausführliche Streikstatistik des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung erst im April veröffentlicht, doch eine erste Tendenz ist bereits erkennbar: Die großen Erzwingungsstreiks blieben in den meisten Fällen aus, jedoch gab es mehr Auseinandersetzungen auf Ebene der Unternehmen – etwa wenn diese einen Stellenabbau umsetzen wollten.
„Diese Tendenz beobachten wir schon seit einigen Jahren“, sagt Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs, auf Anfrage. „Deutschland war schon immer ein eher streikarmes Land“, so Schulten. Wenn gestreikt werde, dann meist auf Ebene von Warnstreiks. Um den letzten großen Erzwingungsstreik zu finden, müsse man schon viele Jahre zurückgehen.
Die Gewerkschaft Verdi teilte auf Anfrage mit, dass man nicht davon sprechen könne, dass es durch das Coronajahr eine besondere Zurückhaltung bei der Durchsetzung von Forderungen gegeben habe. Allerdings, so erklärt Norbert Reuter, Leiter der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung von Verdi, hätten die Maßnahmen ein anderes Gesicht gehabt: „Neben Warnstreiks haben wir auch neue Formen erprobt wie kurzfristige ‚Aktionsstreiks‘ oder den ‚Arbeitsstreik‘.“ Zudem habe der Fokus auf innerbetrieblichen Gesprächen gelegen, da große Kundgebungen unter Corona-Bedingungen nur schwer umsetzbar gewesen seien. Wie erfolgreich die angepasste Strategie im Coronajahr war, zeigten die guten Abschlüsse bei der Post, im öffentlichen Dienst oder zuletzt beim Energieversorger Eon, so Reuter.
Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) registrierte für das vergangene Jahr sogar deutlich mehr Streiks – meist lokal – als in den Vorjahren. Den 78 Streiks 2019 standen im Coronajahr 132 Streiks gegenüber. Die Viruskrise hatte insbesondere in der Nahrungsmittelindustrie für zusätzliche Arbeit gesorgt. Daher war der Zeitpunkt für Streiks günstig.
Für 2021 steht aktuell die Tarifverhandlung der IG Metall an. Die Friedenspflicht endet Anfang März. Bislang liegen Arbeitgeber und Gewerkschaften noch deutlich auseinander. Die Gewerkschaft fordert 4% mehr Lohn und flexiblere Arbeitszeiten – etwa in Form einer Vier-Tage-Woche. Die Arbeitgeber wollen sparen. Schulten rechnet damit, dass auch in diesem Jahr der Einfluss der Pandemie auf den Arbeitskampf zu spüren sein wird – denn „keiner streikt gerne unter Corona-Bedingungen“, so der WSI-Forscher. Zudem seien die Forderungen der Gewerkschaften angesichts der Nullrunde 2020 – wie etwa in der Elektro- und Metallindustrie – moderat und ökonomisch angemessen. Den ganz großen Krach erwartet Schulten daher nicht.