LEITARTIKEL

Danke, Corona!

Noch ist die Coronakrise nicht überwunden. Die internationalen Anstrengungen zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Sars-Cov-2 mögen zwar ohne Beispiel sein. Der für einen Wirkstoff erforderliche Entwicklungszeitraum wird sich trotz aller...

Danke, Corona!

Noch ist die Coronakrise nicht überwunden. Die internationalen Anstrengungen zur Entwicklung eines Impfstoffs gegen Sars-Cov-2 mögen zwar ohne Beispiel sein. Der für einen Wirkstoff erforderliche Entwicklungszeitraum wird sich trotz aller Anfeuerungen aber nicht beliebig verkürzen lassen. Es gibt nicht von ungefähr kaum ein Beispiel für einen Impfstoff, für dessen Entwicklung bis zur breiten Anwendung weniger als vier Jahre vergangen sind. Wer noch in diesem Jahr mit Entwarnung rechnet, ist deshalb auf viel Optimismus angewiesen und darf sich auch nicht davon beirren lassen, dass es Stand heute noch für keinen der sieben bekannten Coronaviren einen Wirkstoff gibt.Da trifft es sich gut, dass ein Mehr an Optimismus eines der vielen Geschenke zu sein scheint, das uns im Zuge der Coronakrise beschert wurde. Wer in den vergangenen Wochen den fröhlichsten Vertretern aus Zukunftsforschung und Gesellschaftstheorie zugehört hat, konnte trotz aller Sorgen über die Pandemie und ihre Folgen jedenfalls sein Glück kaum fassen angesichts der Verheißungen, die angeblich mit dieser Krise verbunden sind. Von wohltuender Entschleunigung war da immer wieder die Rede, von einer neuen Qualität in menschlichen Beziehungen, einer neuen Verbindlichkeit im Umgang miteinander, ja von einer ganz neuen Lebensqualität – und alles nur zum Preis des Stillstands nahezu der gesamten Volkswirtschaft. Oder um es mit dem Zukunftsforscher Matthias Horx zu sagen: “Wir werden uns wundern, wie weit die Ökonomie schrumpfen konnte, ohne dass so etwas wie ein Zusammenbruch tatsächlich passierte.” Danke, Corona!Bei all dem Applaus für die segensreiche Wirkung der Pandemie ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Coronakrise längst als große Chance für die Eindämmung des Klimawandels gesehen wird. Die billionenschweren Investitionsprogramme, die erforderlich sind, um die Konjunktur wieder in Gang zu bringen, böten die bisher beste Gelegenheit, die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft entscheidend voranzubringen, jubeln Klimaschützer. Ähnlich sieht es mit Themen wie Digitalisierung, künstlicher Intelligenz oder Wasserstoff als Energieträger der Zukunft aus. Die Liste lässt sich beliebig erweitern. Danke, Corona!”Jetzt oder nie!” lautet angesichts der Pandemie aber nicht nur der Slogan von Klimaschützern, Digitalisierungspäpsten und Wasserstoff-Apologeten. Ähnlich schallt es von allen Lobbygruppen, die ihr Handwerk verstehen. Plötzlich halten sie alle nicht mehr Partikularinteressen, sondern einen Schlüssel zum Weg aus der Krise in ihren Händen. Oder um es mit den hellsichtigen Kommentatoren des britischen Wirtschaftsmagazins “The Economist” zu sagen: “In den nächsten 18 Monaten wird jeder, der eine Agenda hat, argumentieren, dass die Pandemie seine Position untermauert.” Sogar die Idee, mit Kaufprämien für Autos mit Verbrennermotoren in die Zukunft zu fahren, hört sich plötzlich wieder vernünftig an. Danke, Corona!Klar, eine tiefgreifende Krise bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Ein Zurück vor die Pandemie wird es nicht geben – auch wenn sich mancher Zukunftsforscher noch wundern dürfte, wie schnell die Plätze in der Mitte einer Flugzeug-Sitzreihe besetzt sein werden, wenn erst der Flugbetrieb wieder aufgenommen wird. Die erzwungenen Veränderungen so zu gestalten, dass etwa die Herausforderungen durch den Klimawandel – dessen Folgen langfristig weit über die jetzt aufgezeigten Konsequenzen einer Pandemie hinausgehen werden – beherrschbar bleiben, ist ebenso ein lohnendes Ziel, wie etwa den Rückstand bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft aufzuholen. “Resilienz statt Effizienz!” lautet ein anderer Slogan. Einfacher wird auch dieser Wechsel infolge von Corona nicht.——Von Stefan ParaviciniNoch ist die Coronakrise nicht überwunden. Mit den von der Pandemie erzwungenen Investitionen sind angeblich aber auch viele Chancen verbunden. ——