Das madrilenische Dorf fordert den Imperator heraus
Ganz Spanien steckt seit Wochen im harten Lockdown. Das öffentliche Leben ist größtenteils stillgelegt. Ganz Spanien? Nein, im Herzen der Iberischen Halbinsel sträubt sich ein rebellischer Stamm gegen Zwangsschließungen und lange Ausgangssperren. Die 6,6 Millionen Einwohner der Region Madrid können nach wie vor, wenn auch unter Auflagen, in Restaurants essen, in Bars trinken und Kino, Theater oder Ausstellungen besuchen. Ganz egal, dass die Lage durch die Pandemie auch in der spanischen Hauptstadt dramatische Ausmaße angenommen hat. Die Infektionsrate nähert sich der Marke von 1000 Personen pro 100000 Einwohner in den letzten 14 Tagen, die hierzulande gängige Maßgröße. Die Krankenhäuser stoßen wegen der Coronapatienten wieder an ihre Grenzen. Madrid ist eingekreist von Regionen, die ihre Grenzen für die Hauptstädter dichtgemacht haben.
Doch der Häuptling der Madrilenen beziehungsweise die Hauptfrau, Isabel Díaz Ayuso, bietet dem Imperator von Hispania, Petrus Sánchez, weiterhin die Stirn. „Zählen Sie nicht auf mich, um die Gastronomie weiter zu ruinieren“, warnte die regionale Ministerpräsidentin von der konservativen Volkspartei PP, die sich selbst als ultraliberale Speerspitze gegen die spanische Minderheitsregierung aus Sozialisten und Linken sieht. Doch sehr zum Trotz der rebellischen Díaz Ayuso zwang der rasante Anstieg der Infektionszahlen in den letzten Tagen auch sie zu weiteren Eingriffen im Rahmen der Zuständigkeiten der autonomen Regionen. So wurde der Lokalschluss für die Gastronomie von 24 Uhr zunächst auf 22 Uhr und dann auf 21 Uhr vorgezogen. Das ist freilich einzigartig in Spanien, denn in den meisten Regionen sind Bars und Restaurants ganz geschlossen, in anderen dürfen sie nur für einige Stunden am Tag aufmachen, etwa in Katalonien. Zu Hause darf man in Madrid nun keinen Besuch mehr empfangen, dafür kann man aber mit bis zu vier Personen im Restaurant oder Café sitzen.
Obwohl der Rest des Landes, einschließlich anderer Regionalregierungen der PP, und auch die Opposition in Madrid den Kopf schütteln, denkt die Regierung von Díaz Ayuso gar nicht daran, den Betrieb weiter runterzufahren. Man habe alles getan, was man tun könne und vor allem habe tun wollen, sekundierte ihr Stellvertreter Ignacio Aguado vom Koalitionspartner, der liberalen Ciudadanos.
Da die Lage wie im Rest Europas sehr ernst ist, fordert das aufmüpfige Gespann Ministerpräsident Sánchez zum Handeln auf. „Wenn die Regierung das hier für so schlimm hält, dann soll sie doch etwas tun“, sagte Díaz Ayuso. Bei einer landesweiten ganztägigen Ausgangssperre, die nur die Zentralregierung verhängen kann, müsste nicht sie selbst entgegen allen Gelöbnissen die Gastronomie schließen, sondern könnte die Verantwortung abwälzen. Allerdings gehört dazu die Tatsache, dass die Infektionslage in Madrid nicht schlimmer ist als in Landesteilen, wo die Restaurants schon längst dicht sind, etwa in Valencia. Die Frage nach dem Warum bietet einmal mehr Anlass für wissenschaftliche Forschung.