IM BLICKFELD

Das spanische Politik-Puzzle

Von Thilo Schäfer, Madrid Börsen-Zeitung, 6.9.2016 Als bei der Wahl im Dezember 2015 mit Podemos und Ciudadanos zwei neue Parteien ins spanische Parlament einzogen, war die Erwartungshaltung groß an eine neue Ära und das Ende der Vorherrschaft von...

Das spanische Politik-Puzzle

Von Thilo Schäfer, MadridAls bei der Wahl im Dezember 2015 mit Podemos und Ciudadanos zwei neue Parteien ins spanische Parlament einzogen, war die Erwartungshaltung groß an eine neue Ära und das Ende der Vorherrschaft von Konservativen und Sozialisten. Fast neun Monate und eine Neuauflage der Wahl im Juni danach, wachsen die Sorgen über den politischen Stillstand in Spanien. Die Ratingagentur Moody’s etwa warnte am Montag vor den Folgen, falls die Hängepartie noch lange weitergehen sollte oder es gar zu einer erneuten Parlamentswahl im Dezember kommt.Nachdem der amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy bei der Wiederwahl vergangene Woche im Parlament scheiterte, ist die Situation so verfahren wie seit Monaten. Lediglich der Druck ist noch größer geworden, da bis zum 31. Oktober eine neue Regierung gewählt werden muss, um eine erneute Neuwahl zu vermeiden. Vor den Regionalwahlen am 25. September im Baskenland und in Galicien dürfte aber kaum etwas geschehen.Rajoy hofft auch nach der Niederlage im Unterhaus, dass der Chef der Sozialisten (PSOE), Pedro Sánchez, seinen Widerstand aufgibt und eine konservative Minderheitsregierung ermöglicht, die bereits die Zustimmung der liberalen Reformpartei Ciudadanos hat. Sánchez hat dagegen die “Kräfte des Wechsels” dazu aufgerufen, eine Alternative zu bilden. Das Problem in der neuen politischen Landschaft Spaniens ist, dass es für eine stabile Mehrheit mehr als zwei Partner braucht. Die Gräben zwischen den Parteien lassen sich anhand dreier Achsen zeichnen: die Neuen gegen die Etablierten, wobei es um die politische Erneuerung geht; die klassische Division zwischen rechts und links, was sich vor allem in der Wirtschaftspolitik ausdrückt; und der Umgang mit den Nationalisten in Katalonien und dem Baskenland.Rajoys Volkspartei (PP) und Ciudadanos sind sich in wirtschaftspolitischen Fragen weitgehend einig. Die Maßnahmen, auf die sie sich in der Vorwoche verständigten, haben sogar einen recht sozialen Anstrich und sehen höhere Steuern für Großunternehmen vor, womit das Abkommen den Sozialisten schmackhaft gemacht werden sollte. Auch die Verteidigung der nationalen Einheit gegen den Separatismus verbindet beide. Die PP machte in der Vergangenheit jedoch oft Zugeständnisse an die Nationalisten aus dem Baskenland und Katalonien, um sich deren Stimmen im Madrider Parlament zu sichern. Nun spekuliert man darüber, dass die konservativen, baskischen Nationalisten des PNV nach der Regionalwahl am 25. zum Machterhalt eventuell auf die Unterstützung der PP angewiesen sein könnten und im Gegenzug ihre fünf Parlamentarier in Madrid Rajoy die Stimme geben. Ciudadanos ist jedoch nicht bereit, den Nationalisten großartig entgegenzukommen.In der Frage der politischen Erneuerung und Bekämpfung der Korruption bietet der Pakt zwischen PP und den Liberalen nur mäßige Fortschritte. Nun ist neuer Sand ins Getriebe geraten. Am Freitagabend, unmittelbar nachdem Rajoys Abstimmungsniederlage im Parlament feststand, teilte das Wirtschaftsministerium die Ernennung des früheren Industrieministers José Manuel Soria für einen Posten bei der Weltbank in Washington mit. Der enge Vertraute des Regierungschefs musste im April wegen seiner Verstrickung in die Panama-Papiere zurücktreten. Der Fall erhärtet den Eindruck vieler Spanier, dass es Rajoy mit der Bekämpfung der Korruption und anderer Missbräuche offenbar nicht ganz so ernst meint.Auch die Sozialisten haben mit Ciudadanos Einiges gemein, wie ihr Pakt vom Frühjahr zur Amtseinführung von PSOE-Chef Sánchez zeigte, der aber ebenfalls scheiterte. Wirtschaftspolitisch können sich beide verständigen, wie auch in Fragen der politischen Erneuerung, obwohl die PSOE selbst einige Skandale vorzuweisen hat. Differenzen gibt es dagegen im Umgang mit den Nationalisten. Die Sozialisten sind, im Gegensatz zu Ciudadanos, für mehr Autonomie der Katalanen und Basken im Rahmen einer Verfassungsreform.Es gibt derzeit zwei rechnerisch mögliche Alternativen zu Rajoy. Ein Pakt zwischen PSOE und Podemos, entweder mit Unterstützung von Ciudadanos oder der nationalistischen Parteien im Parlament. Die Liberalen und Podemos sind jedoch ausschließlich in Fragen der politischen Erneuerung auf einer Linie. In der Wirtschaftspolitik liegen die Positionen weit auseinander. Die Linkspartei ist darüber hinaus als einzige der vier Großen für eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit in Katalonien, ein absolutes Tabu für Ciudadanos. Für die Nationalisten ist die Aussicht auf ein Referendum dagegen ein Grund, einer möglichen Linksregierung die Zustimmung zu erteilen. Allerdings ist kaum damit zu rechnen, dass PNV und die katalanische CDC – zwei konservative Parteien mit engen Verbindungen zum Unternehmerlager – eine radikal linke Wirtschaftspolitik mittragen würden.In diesem komplizierten Gefüge der politischen Landschaft kommen PP, PSOE und Ciudadanos inhaltlich auf die größte Schnittmenge. Doch einer Einigung stehen die persönlichen Animositäten und die Ambitionen von Rajoy und Sánchez im Wege. Ohne die beiden Parteispitzen wäre Spanien einem Ende des Stillstandes bestimmt näher.