Ressourcenknappheit

Das Wunschdenken vom nachlassenden Preisdruck

Das Jahr 2021 wird als das Jahr der Knappheiten in Erinnerung bleiben. So gut wie kein Wirtschaftsbereich blieb verschont. In der Folge kam es bei zahlreichen dieser Güter zu einer wahren Preisexplosion.

Das Wunschdenken vom nachlassenden Preisdruck

Das Jahr 2021 wird als das Jahr der Knappheiten in Erinnerung bleiben. So gut wie kein Wirtschaftsbereich blieb verschont. Besonders im Ge­dächtnis haften bleiben wird der Mangel an Steuerchips in der Automobilindustrie: Hunderttausende Autos konnten allein in Deutschland nicht produziert werden, die Unternehmen mussten Zehntausende Mitarbeiter trotz voller Auftragsbücher über Monate in Kurzarbeit schicken. Aber nicht nur Hightech-Komponenten waren knapp. Plötzlich fehlte es selbst an den simpelsten Alltagsgütern wie Frachtcontainern, Holzpaletten, Pappkartons, Erdgas und Düngemitteln. In der Folge kam es bei zahlreichen dieser Güter zu einer wahren Preisexplosion.

Energiepreise spielen verrückt

Den Vogel abgeschossen hat in Sachen Preisanstieg eindeutig Erdgas. Infolge einer ungewöhnlich ge­ringen Ausbeute bei Wind- und Sonnenenergie in Europa im zurückliegenden Jahr wurden vielerorts Gaskraftwerke hochgefahren, um die Lücke bei der Stromerzeugung zu schließen.

Da die Nachfrage nach Erdgas auch in Asien und den USA sprunghaft zugenommen hat, das globale Angebot aktuell jedoch begrenzt ist, bleibt als Ventil nur ein kräftiger Preisanstieg: Seit Ende 2020 hat sich der Börsenpreis in Europa für eine Megawattstunde von 16,2 Euro auf 108,4 Euro nahezu versiebenfacht (siehe Grafik). Wann die Preise für Erdgas wieder sinken, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Das hängt un­ter anderem davon ab, wie kalt der anstehende Winter auf der Nordhalbkugel ausfällt. Sollte die Lage in der Ostukraine eskalieren, ist da­ge­gen von einem weiteren Preisanstieg auszugehen.

Weil in der EU rund 20% des produzierten Stroms aus Gaskraftwerken stammen, hat sich diese Art der Stromerzeugung ebenfalls erheblich verteuert. Das ist auch der Hauptgrund für den in die Höhe geschnellten Börsenstrompreis, denn dieser orientiert sich infolge einer EU-Regelung immer an der teuersten Art der Stromproduktion. Seit Dezember 2020 ist der Preis in der Eurozone um 540% gestiegen (siehe Grafik).

Ebenfalls zu den hohen Strompreisen trägt die massive Verteuerung von CO2-Zertifikaten bei. Ob und wann Strom an der Börse wieder günstiger wird, hängt im Wesentlichen von der Entwicklung der Preise für Erdgas ab. Eine Rückkehr des Strompreises auf Vorkrisenni­veau ist allerdings fraglich, da ein nachhaltiger Rückgang der Preise für CO2-Zertifikate unwahrscheinlich ist, – schon allein deshalb, weil deren Zahl in den nächsten Jahren sinken wird.

Folgeprobleme

Der hohe Gaspreis ist aber nicht nur für den in die Höhe geschnellten Strompreis verantwortlich, er führt auch zu Problemen an ganz anderer Stelle. Weil beispielsweise zur Herstellung von Ammoniak enorme Mengen Erdgas benötigt werden, haben viele Produzenten ihren Ausstoß gedrosselt oder sogar eingestellt. Ammoniak wiederum ist das Ausgangsprodukt zur Herstellung unter anderem von Düngemitteln.

Die Preise für Düngemittel haben sich infolge des geringeren Angebots drastisch erhöht. Viele Landwirte weltweit zögern daher, Dünger zu kaufen. Das wiederum könnte zu erheblichen Ernteausfällen im nächsten Jahr führen und die ohnehin gestiegenen Nahrungsmittelpreise weiter nach oben treiben.

Abgesehen von den Energiemärkten hat die Coronavirus-Pandemie auch die globalen Lieferketten durcheinandergewirbelt. Im Lauf des Jahres 2020 wurden die Frachtkapazitäten per Schiff aus Asien knapp. In der Folge stiegen weltweit die Frachtkosten und erreichten im Sommer 2021 ein Rekordhoch, in dessen Nähe sie sich noch immer befinden (siehe Grafik). Eine Entspannung erwarten wir frühestens im Jahresverlauf 2022.

Wegen der stark gestiegenen Nachfrage nach Elektronikartikeln sind auch Computerchips knapp. Die wenigen Hersteller von Mikroprozessoren, die den Weltmarkt beherrschen, waren nicht in der Lage, die sprunghaft gestiegene Nachfrage zu bedienen, obwohl die Produktion im Rahmen der Möglichkeiten maximal ausgeweitet wurde. Für einen noch größeren Ausstoß an Halbleitern wären neue Fabriken nötig, deren Fertigstellung allerdings Jahre dauert. Zuletzt betrug die Lieferzeit für Computerchips gut 22 Wochen. Vor Ausbruch der Pandemie waren es durchschnittlich knapp 13 Wochen.

Das im Zuge der Pandemie veränderte Einkaufsverhalten der Konsumenten – insbesondere die massive Zunahme des Onlinehandels – hat ebenfalls zur Verknappung einer ganzen Reihe von Alltagsgütern geführt. Der Preis für Holzpaletten beispielsweise hatte sich in Deutschland zwischenzeitlich fast verdreifacht und lag zuletzt noch immer 120% über dem Vorkrisenwert. Wegen des enormen Bedarfs an Kartons haben sich die deutschen Großhandelspreise für Papier- und Pappreststoffe zur Herstellung von Pappe seit Dezember 2020 verdoppelt.

Es verwundert also nicht, dass das verarbeitende Gewerbe weltweit unter Engpässen und Materialmangel leidet. In Deutschland beklagten im November 74,4% der vom Ifo-Institut befragten Unternehmen eine Knappheit an Rohstoffen und Vorprodukten.

Gleichzeitig zwingt der enorme Kostendruck immer mehr Unternehmen, ihre Preise zu erhöhen. Im Rahmen der monatlichen Umfrage der EU-Kommission gab im November fast die Hälfte aller befragten Indus­trieunternehmen an, in den kommenden Monaten die Preise anheben zu wollen. Im Dienstleistungssektor war es immerhin jedes fünfte Unternehmen.

Keine rasche Trendwende

In Sachen Ressourcenknappheiten zeichnet sich keine rasche Trendwende ab. Mit Entlastung rechnen wir frühestens im Verlauf des nächsten Jahres. Selbst dann sollte sich der Preisdruck aber nur zäh abbauen. Ob die Preise auf das Vorkrisenniveau sinken, darf bezweifelt werden, da ein Teil der Angebotsdefizite struktureller Natur ist. Wahrscheinlicher ist, dass die Unternehmen vielfach mit deutlich höheren Kosten werden leben müssen. Einen Teil dieser Kosten werden sie an die Konsumenten weitergeben. Der unterliegende Preisdruck sollte daher allein aus diesem Grund in den kommenden Jahren zunehmen. Wir gehen daher davon aus, dass die Teuerungsraten in der Eurozone und in den USA auf hohem Niveau verharren werden.

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