EUROPA HAT DIE WAHL

Das zweite Referendum

Brexit-Gegner verschenken große Chance

Das zweite Referendum

Von Andreas Hippin, LondonNigel Farage hat die Wahl zum EU-Parlament mit seinem neuen Vehikel The Brexit Party zu einer weiteren Volksabstimmung über die Zukunft des Landes in Europa umgedeutet. Die Austrittsgegner waren nicht in der Lage, die ansonsten für Britannien völlig sinnlose Wahl für ein gemeinsames Auftreten gegen den Brexit zu nutzen, was vielleicht auch die Wahlbeteiligung (2014: 35,6 %) in die Höhe getrieben hätte. In der jüngsten Umfrage des Marktforschers Yougov kommt Farage auf 30 % der Stimmen und liegt damit vor allen anderen – 9 Prozentpunkte vor Labour. Die Konservativen erreichen gerade einmal 13 %. Sie fuhren bei den Kommunalwahlen in der vergangenen Woche eine verheerende Niederlage ein und hätten gerne auf ein weiteres Debakel verzichtet. Allerdings haben sie es nicht geschafft, Labour zu einem Deal zu bewegen, der es ermöglicht hätte, die Wahl abzublasen und die Staatengemeinschaft noch diesen Monat zu verlassen.Schon aus der Europawahl 2014 ging Farage als Gewinner hervor. Die damals noch von ihm geführte UK Independence Party (Ukip) driftete aber zunehmend in den Rechtsextremismus ab und schafft in der Yougov-Umfrage nur noch 4 %. Der Vormarsch von Ukip war einer der Gründe dafür, dass Mays Vorgänger David Cameron das EU-Referendum von 2016 auf die Tagesordnung setzte. Tories unter DruckDie Tories verloren bei den Kommunalwahlen mehr als 1 300 Mandate. Das lag nicht etwa an der Unzufriedenheit der Bürger mit der Müllabfuhr oder den Schlaglöchern in ihrer Straße. Es war ein Denkzettel für den verpfuschten Brexit. So schlecht hatte die Partei zuletzt 1995 unter John Major abgeschnitten. Danach kam Tony Blair (Labour) an die Macht. Aber bei dieser Wahl konnte Labour nicht von der Schwäche der Regierung profitieren und verlor stattdessen selbst Sitze. Die Partei Jeremy Corbyns unterlag in einstigen Arbeiterhochburgen wie Bolsover, Hartlepool und Wirral.Die von vielen bereits abgeschriebenen Liberaldemokraten (Lib Dems), die sich als Anti-Brexit-Partei positionierten, gewannen dagegen 703 Mandate hinzu, die Grünen 194. In der Yougov-Umfrage zu den Europawahlen erreichen die Lib Dems 10 %, die Grünen 9 % und die von unzufriedenen Labour- und Tory-Abgeordneten gegründete Change UK ebenfalls 9 %. Das wären 28 % für eine “Remain”-Plattform, hätte man sich auf eine solche einigen können. LibDems-Chef Vince Cable hatte sich um ein gemeinsames Vorgehen bemüht. Auf Stimmen der walisischen und schottischen Nationalisten sowie der nordirischen Republikaner, die den EU-Austritt sämtlich ablehnen, hätte man noch zusätzlich hoffen dürfen. Klassische ParteipolitikAber sowohl Change UK als auch die Grünen winkten ab. Sie machen lieber klassische Parteipolitik. Von der “Daily Mail” veröffentlichte interne Unterlagen von Change UK zeigen, dass man dort keinen Wert auf Bündnisse legt. Zudem hoffen Chuka Umunna und Heidi Allen darauf, den Lib Dems mit ihrem neuen Vehikel Wähler und Parteispender abspenstig machen zu können. Und die Grünen können seit den jüngsten Klima-Chaostagen in London vor Selbstbewusstsein kaum laufen. Sie alle haben nicht nur die Chance vertan, am Ende sagen zu können, dass bei der Europawahl eine Mehrheit gegen den Brexit gestimmt hat. Weil sie auch noch gegeneinander antreten, verteilen sich die Stimmen von “Remain”, während Farage die Stimmen der Brexiteers bündelt.Und Labour? Während vor der Tür die Vorbereitungen für ein De-facto-Referendum über den Brexit liefen, stritt man sich in der Führung der einstigen Partei der Arbeiterklasse darum, ob die Forderung nach einer erneuten Volksabstimmung ins Europawahlprogramm gehört.