Debatte über Altersarmut verschärft sich

WSI-Studie fordert höheres Rentenniveau - IW-Forscher warnen vor Überlastung der jüngeren Generation

Debatte über Altersarmut verschärft sich

Von Stephan Lorz, FrankfurtDie Debatte über eine drohende Altersarmut in Deutschland wird durch eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) befeuert, welche die Lage der künftigen Rentner in düsteren Farben malt: Modellrechnungen zeigten, dass nicht nur Geringverdiener und Menschen mit langen Phasen der Arbeitslosigkeit damit rechnen müssten, nicht mehr ohne Sozialhilfe im Alter zurechtzukommen. Vielmehr werde es künftig auch für qualifizierte Beschäftigte mit mittlerem Einkommen schwieriger, sich eine gesetzliche Rente deutlich oberhalb der Grundsicherungs- oder der Armutsgefährdungsschwelle zu erarbeiten, heißt es.Zuletzt hatte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz das Thema aufgegriffen und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Versagen in der Rentenpolitik vorgeworfen, weil sie bekundete, bei der Rente keinen Handlungsbedarf zu sehen. Merkels Verweigerungshaltung werde dazu führen, dass die Renten sinken und die Beiträge steigen. Das sei “Altersarmut auf Programm”. Die SPD fordert ein garantiertes Rentenniveau von mindestens 48 % bis 2030, finanziert durch einen Demografiezuschuss aus Steuermitteln.Die WSI-Studie rückt in ihren Berechnungen vom “Eckrentner” mit 45 Beitragsjahren ab, auf dessen Erwerbsbiografie bislang die Renteneckwerte berechnet werden. Ein solcher Lebenslauf sei inzwischen nicht mehr realistisch – vor allem bezogen auf Frauen. Ein Rentner müsste in Vollzeit und 45 Beitragsjahren beim aktuellen Rentenniveau im Schnitt 11,42 Euro pro Stunde brutto verdienen, um die Grundsicherungsschwelle zu überschreiten. Gälte schon das für 2045 prognostizierte Rentenniveau, wären auch in diesem Fall schon mindestens 13,06 Euro nötig, schreibt WSI-Ökonom Florian Blank. Bei realistischeren 35 Beitragsjahren in Vollzeit stiege der notwendige Stundenlohn indes auf 16,79 Euro.Soll die gesetzliche Rente zudem über der Armutsgefährdungsschwelle liegen, die sich nach den vorliegenden Daten von 2015 bei 942 Euro Monatseinkommen für einen Alleinstehenden befindet, fallen die notwendigen Stundenlöhne noch deutlich höher aus: Bei 45 Beitragsjahren in Vollzeit und aktuellem Rentenniveau wären das 14,40 Euro, bei 40 Beitragsjahren in Vollzeit und dem Rentenniveau von 2045 wären es schlimmstenfalls 18,53 Euro. Mindestlohn reicht nichtViele Mindestlöhne und damit auch der gesetzliche Mindestlohn seien zu niedrig, um auf eine gesetzliche Rente über dem Grundsicherungsniveau zu kommen – selbst bei stetiger 45-jähriger Vollzeittätigkeit, mahnt Studienautor Blank. Eine Stabilisierung oder Anhebung des Rentenniveaus sei dringend geboten, um für alle Einkommensgruppen die Lohnersatzfunktion der Renten und damit die Legitimität der Rentenversicherung sicherzustellen, schreibt er und stützt damit Wahlkampfforderungen der SPD.Dass für künftige Rentner tatsächlich eine höhere Gefahr von Altersarmut besteht, stellen indes Ökonomen aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Frage. Vielfach werde dabei nämlich übersehen, dass Rentner neben ihrer gesetzlichen Rente auch weitere Einkommensquellen hätten, die nicht in die Statistik eingehen; und entgegen dem gesellschaftlichen Trend leben die meisten im Ruhestand nicht alleine, was die Versorgungskosten verringert. Insgesamt habe sich in jüngster Zeit die Einkommensposition der älteren Menschen in Deutschland sogar eher verbessert.Die IW-Ökonomen erteilen auch der Forderung nach einer Anhebung des Rentenniveaus eine Absage, weil dieser Schritt von der ohnehin schon immer stärker belasteten jüngeren Generation finanziert werden müsse. Das gelte auch dann, wenn Zuschüsse über das Steuersystem geleistet würden. Die Forscher plädieren stattdessen für eine Anhebung der Regelaltersgrenze auf bis zu 70 Jahre. Damit ließe sich der Beitragssatz von knapp 22 % “dauerhaft stabilisieren” und das Sicherungsniveau “dauerhaft über 45 % halten”.