Debatte über Impfpflicht nimmt neue Fahrt auf
sp Berlin
In der Debatte über eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland hat der Weihnachtsfrieden nicht weit über die Feiertage hinaus gehalten. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kritisierte am Montag die ablehnende Haltung der FDP und vor allem die jüngsten Äußerungen des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki. „Die Aussage von Wolfgang Kubicki, dass es vielen Impfpflichtbefürwortern um Rache und Vergeltung gehe, ist schlichtweg verantwortungslos und völlig ungeeignet, um die Debatte inhaltlich angemessen zu führen“, sagte Kretschmann gegenüber dpa. Kubicki hatte kurz vor Weihnachten in einem Gruppenantrag zusammen mit anderen FDP-Abgeordneten seine ablehnende Haltung zur Impfpflicht auch im Parlament deutlich gemacht. Über eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus soll der Bundestag im neuen Jahr voraussichtlich in freier Abstimmung ohne Fraktionszwang entscheiden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen, und selbst FDP-Chef Christian Lindner tendiert nach jüngsten Aussagen in diese Richtung. Die Ampel-Koalition will jedoch keinen Gesetzentwurf vorlegen, sondern über fraktionsübergreifende Gruppenanträge im Bundestag abstimmen.
Kretschmann sagte, er sei froh, dass die FDP immerhin der Impfpflicht für das Personal in Einrichtungen wie Kliniken und Pflegeheimen zugestimmt habe und sich FDP-Chef Christian Lindner inzwischen für eine allgemeine Impfpflicht ausspreche. „Aber wir müssen jetzt sehen, wie sich das entwickelt mit den Gruppenanträgen“, sagte er. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hält die Liberalen, mit denen die Grünen im Bund seit wenigen Wochen zusammen mit der SPD regieren, für den schwierigeren Koalitionspartner im Kampf gegen die Corona-Pandemie als die CDU, mit der Kretschmann in Stuttgart schon seit 2016 regiert und erst im Mai ein neuerliches Bündnis eingegangen ist. „Einer der Gründe, warum ich im Land mit den Christdemokraten koaliere: Weil ich mit denen in der Coronapolitik in den grundsätzlichen Fragen auf einem gemeinsamen Nenner bin.“
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sprach sich dafür aus, die Entscheidung über eine allgemeine Impfpflicht zu vertagen. „Ab Ende Januar oder im Februar werden wir wissen, wo wir stehen – in Brandenburg und bundesweit“, sagte er laut dpa. „Dann wissen wir, ob eine Impfpflicht noch notwendig ist oder – viel besser – viele Menschen erkannt haben, dass sie ganz persönlich und freiwillig durch Impfen einen Beitrag zum Weg aus der Pandemie leisten können.“ Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hofft, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht, das neue Angebot von Novavax als weiteres Vakzin sowie die Appelle zum Impfen die Impfquote steigern werden. „Zehn Millionen ungeimpfte Menschen in Deutschland, das ist einfach ein zu großes Risiko für die gesamte Gesellschaft“, betonte sie.
Friedrich Merz, der designierte CDU-Vorsitzende, schlägt statt einer allgemeinen Impfpflicht einen Stufenplan für gruppenbezogene Impfpflichten vor. Eine allgemeine Impfpflicht werfe eine Reihe von ethischen, verfassungsrechtlichen und organisatorischen Fragen auf, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Eine erste gruppenbezogene Impfpflicht wurde bereits beschlossen: Beschäftigte in Einrichtungen mit schutzbedürftigen Menschen wie Kliniken und Pflegeheime müssen bis 15. März nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind.