Defizitverfahren gegen Italien naht

EU-Staaten entscheiden - Brüsseler Warnungen auch an Athen - Verfahren gegen Spanien eingestellt

Defizitverfahren gegen Italien naht

Die Geduld der EU-Kommission mit Italien ist am Ende: Die Brüsseler Behörde sprach sich für die Einleitung eines Defizitverfahrens aus. Nun müssen sich aber zunächst die EU-Mitgliedstaaten dazu äußern. Aus dem Verfahren entlassen wird Spanien. Deutschland wird erneut empfohlen, die Investitionen zu erhöhen.ahe/bl Brüssel/Mailand – Nachdem es im Dezember zunächst eine Einigung mit der Regierung in Rom gegeben hatte, greift die EU-Kommission nun doch wegen der verfehlten Haushaltspolitik durch und hat erste Schritte für ein Defizitverfahren eingeleitet. Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sagte in Brüssel, ein solches Verfahren sei “gerechtfertigt”. Die Schäden der expansiven italienischen Haushaltspolitik seien heute schon sichtbar: Das Vertrauen der Investoren sei gesunken und das Wirtschaftswachstum nahezu zum Stillstand gekommen. Zudem habe der italienische Staat 2018 etwa 2,2 Mrd. Euro mehr an Zinsen für seine hohe Verschuldung zahlen müssen als zuvor prognostiziert.Laut Prognosen der EU-Kommission steigt die italienische Staatsverschuldung – die nach der von Griechenland ohnehin schon die zweithöchste in der EU ist – in diesem Jahr auf 133,7 (Vj. 132,2) % des Bruttoinlandprodukts (BIP) und im nächsten Jahr dann sogar auf 135,2 % weiter. Derzeit trage jeder Italiener rein rechnerisch einen Schuldenanteil von 38 000 Euro, sagte Dombrovskis. Die Zinsen für den Schuldendienst entsprächen den Kosten für das ganze Bildungssystem des Landes. Die italienische Regierung müsse dringend auf den Pfad von Reformen einschwenken und dürfe nicht weiter die Ausgaben erhöhen, wenn es keinen finanziellen Spielraum gebe.Warnungen kamen in diesem Zusammenhang auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser wertet nach Informationen von Reuters Italiens hohe Schulden als großes Risiko für die Wirtschaft der ganzen Eurozone. Einen entsprechenden Bericht wolle IWF-Chefin Christine Lagarde in der nächsten Woche bei einem Treffen der Eurogruppe in Luxemburg vorlegen.Bis zur Einleitung eines Verfahrens wegen eines exzessiven Defizits, das theoretisch Milliardenstrafen nach sich ziehen könnte, sind allerdings noch weitere Schritte notwendig: Zunächst muss nun innerhalb von zwei Wochen der EU-Wirtschafts- und Finanzausschuss eine Stellungnahme abgeben. Diesem beratenden Gremium gehören unter anderem hochrangige Vertreter der Nationalstaaten, der nationalen Notenbanken und der Europäischen Zentralbank an. Danach müssen – bis spätestens Anfang August – sowohl die EU-Kommission als auch die EU-Mitgliedstaaten noch einmal grünes Licht für ein Verfahren geben. Kritik an DeutschlandEU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici betonte, die Tür für neue Gespräche mit der italienischen Regierung stehe weiter offen. Es liege an der Regierung in Rom, noch ein Verfahren zu vermeiden.Vertreter der italienischen Regierung reagierten unterschiedlich auf die Empfehlung der EU-Kommission, ein Schulden-Strafverfahren gegen Rom einzuleiten. Während Premierminister Giuseppe Conte, der auf Staatsbesuch in Hanoi ist, versprach, “alles zu tun, um ein Verfahren zu vermeiden”, versicherte Vizepremier und 5-Stelle-Chef Luigi Di Maio, die Mahnung ernst zu nehmen. Es werde aber keine Abstriche bei Vorhaben wie dem Vorziehen des Mindestrentenalters geben.Matteo Salvini, Chef der rechtsnationalen Lega und ebenfalls Vizepremier, will an den geplanten Steuersenkungen festhalten. Nur durch einen “Steuerschock” wie in den USA komme das Land aus der Krise.Positive Reaktionen auf die Entscheidung der EU-Kommission kamen dagegen aus dem Europaparlament. “Wenn Italien mit dem Feuer spielt, unterminiert das auch die Stabilität des Euro insgesamt”, warnte der CSU-Finanzexperte Markus Ferber. Deswegen müsse die EU-Kommission nun endlich “Zähne zeigen” und dürfe sich nicht länger auf faule Kompromisse zulasten der Stabilität des Euro einlassen.An einem Defizitverfahren führt auch nach Ansicht des Grünen Sven Giegold derzeit kein Weg vorbei. Giegold kritisierte in dem Zusammenhang aber auch die unterschiedlichen Behandlungen von Regelverstößen: “Der übermäßige Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands destabilisiert die Eurozone genauso wie das übermäßige Haushaltsdefizit Italiens. Dieser janusköpfige Ansatz im Umgang mit der Instabilität in der Eurozone untergräbt die langfristige Stabilität des gesamten Projekts.”Die EU-Kommission empfahl der Bundesregierung erneut, die Investitionen zu erhöhen – vor allem auf regionaler und kommunaler Ebene. Brüssel sieht in Deutschland vor allem Nachholbedarf in den Bereichen Bildung, Forschung und Innovation, Digitalisierung, Breitbandnetze, nachhaltiger Verkehr, Energienetze und bezahlbarer Wohnraum.Deutlich kritischer ging die EU-Kommission allerdings mit Griechenland ins Gericht. Dombrovskis monierte, dass die griechische Regierung in den vergangenen Wochen wieder eine expansive Ausgabenpolitik gefahren und ihren Reformeifer gebremst habe. Dies gefährde das Erreichen der Haushaltsziele. Athen habe wenig Spielraum und müsse aufpassen, dass die Fortschritte der vergangenen Jahre nicht wieder zunichtegemacht werden.Positive Entwicklungen gab es hingegen in Spanien: Die EU-Kommission empfahl, das Land nach rund zehn Jahren wieder aus dem Defizitverfahren zu entlassen. Nach der Finanzkrise waren 2011 noch 24 EU-Länder in einem Defizitverfahren. Spanien ist von diesen das letzte Land, das noch im Verfahren steckt.