Demokratie statt Technokratie!

Von Stephan Lorz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 20.12.2012 Wollen wir eine Eurozone der Technokraten oder der Demokraten? Die meisten würden wohl für Demokratie votieren, allerdings kam Europa in der Vergangenheit - und noch mehr in der aktuellen...

Demokratie statt Technokratie!

Von Stephan Lorz, FrankfurtWollen wir eine Eurozone der Technokraten oder der Demokraten? Die meisten würden wohl für Demokratie votieren, allerdings kam Europa in der Vergangenheit – und noch mehr in der aktuellen Euro-Krise – häufig nur mit “mehr Technokratie” voran: Maastricht, Schengen, Lissabon sind hier einige der Marksteine. Sie stehen für neue Institutionen, Selbstverpflichtungen, mehr Macht für Brüssel. Und davon künden auch die Gipfelbeschlüsse der letzten Zeit, die Institutionen wie die Rettungsfonds EFSF und ESM geschaffen, veränderte Polit-Prozeduren vereinbart, sowie neue Aufsichtsbehörden hervorgebracht haben.Auch die Europäische Zentralbank (EZB) ist offenbar unentschlossen, wohin die Reise geht. Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen sprach in einer Rede vor dem Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten über die Eurozone von einem “unvollkommenen Projekt, das man vollenden” müsse. Es gebe aber “noch keine endgültige Version”. Er selbst changiert dabei zwischen Technokratentum und Demokratie. Geteilte Souveränität?Es geht ihm darum, wie die künftige Bankenunion gestaltet werden muss, nach welchen Mechanismen eine Bankenabwicklung europäisch einheitlich vollzogen werden kann. Welche Rolle der Euro-Rettungsfonds ESM dabei spielen soll (Asmussen will dort den Bankenabwicklungsfonds unterbringen). Und wie man das mit der nationalen Souveränität vereinbaren kann. Starke unabhängige Institutionen, die – wie die EZB, möchte man hinzufügen – “das Tagesgeschäft überdauern”, seien entscheidend, weil sie den Finanzmärkten Vertrauen einflößen. Sie haben aber in der Regel eine eher schwache demokratische Legitimation, auf die sie sich berufen können.Deshalb plädiert Asmussen auch für eine Stärkung der demokratischen Basis. Er bleibt dabei aber im Ungefähren: Das Europaparlament müsse gestärkt werden, fordert er. Und die Institutionen müssten stärker in den politischen Willensbildungsprozess eingebunden werden. Dafür seien allerdings Änderungen der EU-Verträge nötig. Einige Staaten müssten dafür auch an ihre Verfassung herangehen, zeigt er sich schon skeptischer. Das dürfte Zeit brauchen und die Ungeduld der Marktakteure strapazieren.Weshalb es dann wohl doch wieder auf eine technokratische Lösung hinauslaufen wird, die zügiger umsetzbar ist. Asmussen wirbt in diesem Zusammenhang für die Etablierung von “Reformverträgen”. Länder sollen sich formal zu mehrjährigen Reformen verpflichten und bei Erfüllung der Aufgaben Finanzhilfen erhalten – gewissermaßen als Belohnung für die Reformbereitschaft und als Marscherleichterung bei deren Umsetzung.Der Charme sei, dass dieser Weg von der nationalen Bevölkerung des betroffenen Landes nicht als von Brüssel oktroyiert wahrgenommen werde, die Reformverpflichtungen leichter zu kontrollieren seien und durch ihre mehrjährige Laufzeit auch in die gesellschaftlichen Strukturen eingreifen, die hinderlich seien bei der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Im Gegenzug würden die Reformen an den Märkten als “glaubwürdiger” wahrgenommen und die Länder erhielten wieder einen Teil ihrer Selbstbestimmung zurück, die sie auf Druck “des Marktes” hatten abgeben müssen. “Geteilte Souveränität” nennt das Asmussen: Europa gibt den Takt vor, die Staaten dürfen sich zumindest eigenverantwortlich fühlen.Die Währungsunion wird künftig sogar noch komplizierter, räumt Asmussen ein. Es werde ein Europa der “mehreren Geschwindigkeiten” geben, sagte er nach seiner Vision für den Kontinent befragt. Die Übersichtlichkeit gehe verloren, aber das sei “der einzige Weg nach vorn”. Es gebe “keinen Weg zurück zu einer einfacheren Europäischen Union”.Bleibt die Frage, ob die Politiker – aber auch die Zentralbanker – der zunehmenden Komplexität Europas überhaupt gewachsen sind. Inwieweit dadurch demokratische Strukturen verwässert werden, weil Bürokraten politische Vorgaben machen und sie in Personalunion auch gleich durchsetzen. Und ob die Bürger das Europadickicht noch durchschauen. Einige dürften darüber in Politikverdrossenheit verfallen, andere sich in einer Oppositionsbewegung zusammenfinden, weil sie das für eine Pervertierung der europäischen Idee halten, und wieder andere die Befreiung vom Brüsseler Joch fordern. Die politische Komplexität könnte sich damit zum Sprengsatz für Europa entwickeln. Die KomplexitätsfalleDabei gibt es durchaus Alternativen: Warum nicht in erster Linie dafür kämpfen, dass das Europaparlament tatsächlich all jene Rechte erhält, die nationale Parlamente längst haben? Doch statt einen direkten Machttransfer nach Europa zu fordern, lassen die meisten Politiker lieber eine Verwässerung der nationalen Souveränität durch die Europabürokratie zu. Das ist zwar gut für ihr nationalstaatliches Ego – Gift aber für die europäische Integration. Und warum sich dem Urteil der Finanzmärkte entziehen durch den Aufbau neuer Institutionen und “Fiskalfazilitäten”? Als ob die Akteure auf dem Brüsseler Polit-Marktplatz bessere Ergebnisse vorweisen könnten als die Akteure auf den Finanzmärkten. Der Druck hoher Marktzinsen führt immer noch zu nachhaltigeren Politikergebnissen als in Hinterzimmern ausgemauschelte “Reformverträge”. Ein Zurück zu mehr Markt sowie zu einfacheren Strukturen und klaren Regeln – für Letzteres tritt auch Asmussen ein – ist überlebenswichtig für die Währungsgemeinschaft. Das würde sicher auch der EZB die Arbeit erleichtern.—–Die im Zuge der Euro-Rettung verabredeten Reformen führen zu einem Europa der Bürokraten.—–