GASTBEITRAG

Der Arbeitsmarkt - Achillesferse der Währungsunion

Börsen-Zeitung, 11.9.2013 Das Elend bei den Konjunkturdaten der Eurozone hat zuletzt abgenommen. Ablesbar ist dies am Bruttoinlandsprodukt, das im zweiten Quartal 2013 erstmals seit sechs Quartalen gegenüber dem Vorquartal wieder gewachsen ist. Die...

Der Arbeitsmarkt - Achillesferse der Währungsunion

Das Elend bei den Konjunkturdaten der Eurozone hat zuletzt abgenommen. Ablesbar ist dies am Bruttoinlandsprodukt, das im zweiten Quartal 2013 erstmals seit sechs Quartalen gegenüber dem Vorquartal wieder gewachsen ist. Die Klimaindikatoren lassen zudem weiteres Wachstum für das zweite Halbjahr erwarten. Erfreulich ist hier vor allem das bessere Wirtschaftsklima in Griechenland, Italien, Portugal, Spanien und Zypern. Dort zeigt die Stimmung nicht nur eine höhere Aufwärtsdynamik gegenüber anderen Ländern, auch die Niveaus haben sich größtenteils angeglichen. Zahlt es sich nun endlich aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Nullzinspolitik und ihren umstrittenen unkonventionellen Maßnahmen Zeit “gekauft” hat, um mit einer Wachstumsrückkehr das über allem schwebende Ziel der Aufrechterhaltung der Währungsunion zu erreichen? Fiskalunion noch weit wegVorsicht! Tritte auf die Euphoriebremse sind nach wie vor angemessener als überschäumender Optimismus. Es ist nämlich keineswegs ausgemacht, dass es aus dem tiefen Konjunkturtal ab sofort nur aufwärtsgeht. Schließlich ist bei der Überwindung eines der zentralen konjunkturellen Belastungsfaktoren, der Staatsschuldenkrise, kein nennenswerter Fortschritt zu vermelden. So haben die Euro-Länder die “gekaufte” Zeit bisher nicht genutzt, um eine “Vision” bzw. eine “Agenda 2020” für Europa auf den Weg zu bringen. Im Gegenteil: Allein die 2013 in Berlin und Paris benannten Krisenbewältigungsrezepte zeigen einen stärkeren Dissens, eine Fiskalunion steht daher mehr denn je in den Sternen. Einig ist sich die Politik lediglich darin, die Währungsunion zu erhalten. Auch die EZB wird sich hierfür weiter ins Zeug legen. Dieses Durchwurschteln dürfte das politische Handeln auch 2014 bestimmen. Für Unternehmen bedeutet dies Unsicherheit, die Schatten über der Investitionsbereitschaft zunächst bestehen lässt.Was das Wachstum angeht, so haben die meisten Mitgliedstaaten des Euroraums von den überfälligen Strukturreformen, die das Wachstumspotenzial stärken könnten, auch im fünften Jahr nach Krisenausbruch noch immer nur wenig umgesetzt. Das Bruttoinlandsprodukt wird im Euroraum daher 2013 wohl nochmals um 0,5 % schrumpfen und 2014 lediglich um 0,7 % zunehmen. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit hat auf Lohnstückkostenbasis in einigen Ländern zwar kräftig zugenommen, allen voran in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Über die Qualität dieses Zugewinns ist damit aber nichts gesagt: Dieser basiert vorwiegend auf einer deutlichen Reduktion der Nominallöhne und einer stark gestiegenen Arbeitslosigkeit. In Griechenland (27,6 %) und Spanien (26,3 %) sind die Arbeitslosenquoten seit Langem extrem hoch, in vielen anderen Ländern sieht es ähnlich aus. Da schnelle und breit angelegte Produktionsverlagerungen in diese Staaten auch aufgrund der schwachen Weltwirtschaft nicht in Sicht sind, steht mit Blick auf die Nachlaufeigenschaft zur Konjunktur vielmehr zu befürchten, dass die im Euroraum mit 12,1 % bereits historisch hohe Arbeitslosenquote noch steigen wird.Und von 2015 an? Klar dürfte sein, dass ein Durchbruch beim Wachstum ohne weitere Reformbereitschaft kaum zu erreichen sein wird. Das durchschnittliche Vorkrisenwachstum dürfte für viele Mitgliedstaaten außer Reichweite bleiben, da Sondereffekte, die das Wachstum vor der Krise angeheizt hatten (z. B. der Immobilienboom in Irland und Spanien), dauerhaft entfallen sind. Hinzu kommen der aus der Staatsüberschuldung resultierende Haushaltskonsolidierungsbedarf und neue Belastungen durch den demografischen Wandel. Der Gang aus dem tiefen Konjunkturtal wird daher nur langsam erfolgen und die Wachstumskluft zwischen den Staaten weitgehend erhalten bleiben. Griechenland, Italien, Portugal und Spanien dürften ihr zyklisches Hoch aus dem Jahr 2008 auch zehn Jahre nach Krisenausbruch noch deutlich unterschreiten. Für die Arbeitsmärkte dieser Länder bedeutet dies eine Zementierung ihrer Arbeitslosenquoten auf hohem Niveau. Eine diesbezüglich entlastende Abwanderung von Arbeitskräften dürfte vor allem bei Geringverdienern durch Sprachbarrieren und die weltweit begrenzte Aufnahmekapazität anderer Länder stark behindert werden. Sozialer Friede gefährdetWenn das Wachstum aber nicht ausreicht, um die Arbeitslosigkeit dauerhaft und nachhaltig zu senken, ist der soziale Frieden in der Währungsunion gefährdet. Zusammen mit einer aufgrund der Haushaltskonsolidierung wohl geringer werdenden staatlichen Unterstützung dürften Existenzsorgen daher weiter zunehmen. Bereits jetzt leidet die Produktivität vieler Länder unter gesunkenen Bildungsinvestitionen, ein Prozess, der durch eine eventuelle Auswanderung Gutqualifizierter noch verstärkt würde. Die absehbar größer werdende Einkommensschere kann gesellschaftliche Spaltungstendenzen zudem befördern und radikalen Gruppen bei anhaltend hoher Jugendarbeitslosigkeit Auftrieb geben. In Griechenland, Portugal, Spanien und Zypern hat es bereits Unruhen gegeben. Die diesjährigen Ereignisse in Brasilien zeigen, wie die Lage eskalieren kann, wenn breite Bevölkerungsschichten vom Wohlstand ausgeschlossen sind.Politiker interpretieren die EU-Verträge dahingehend, dass die Währungsunion unumkehrbar ist. Ob das von der Bevölkerung auf Dauer ebenso ultimativ gesehen wird, ist fraglich. Gelingt es nicht, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu senken, wird der Euro hierfür wohl zunehmend als Sündenbock herhalten müssen. Eine Umfrage der Europäischen Kommission für 2012 zeigt bereits, dass die Ablehnung der Gemeinschaftswährung in der Bevölkerung gewachsen ist: Nur noch etwas mehr als 50 % sahen den Euro als gut für ihr Land an. Bei schwachem Wachstum und anhaltender Haushaltskonsolidierung in den nächsten Jahren wäre es daher gar nicht abwegig, wenn die Leidensfähigkeit der Menschen in manchen Krisenländern überstrapaziert würde. Umgekehrt kann die Rettungsbereitschaft der anderen Länder überfordert werden, wenn nachhaltige fundamentale Verbesserungen in den Schuldenstaaten ausblieben.Über den Fortbestand der Währungsunion entscheidet in letzter Konsequenz nicht die Politik oder die EZB, sondern die Bevölkerung des Euroraums. Maßgeblich wird daher sein, ihr eine Lebensperspektive zu vermitteln. Je länger die Arbeitslosigkeit aber hoch bleibt, umso schwieriger wird dies. Damit wird der Arbeitsmarkt zur Achillesferse der Währungsunion. Um ihr Fortbestehen zu sichern, wird ein politisches “Weiter wie bisher” nicht ausreichen. Zur Stärkung der Wachstumskräfte muss die Reformbereitschaft der Staaten vielmehr deutlich steigen und sich die konsumtive Ausrichtung der Staatsausgaben stärker zu einer investiven ändern. Anderenfalls wird die EZB genötigt bleiben, die Währungsunion zusammenzuhalten. Eventuell steigende soziale Spannungen kann sie aber nicht verhindern. Die aktuell besser ausgefallenen Konjunkturdaten geben der Politik daher keinen Anlass, sich auszuruhen: Selbstgefälligkeit entzöge der Währungsunion die Existenzgrundlage nämlich erst recht.—-Alexander Krüger, Chefvolkswirt Bankhaus Lampe