EUROPA HAT DIE WAHL

Der Brexit-Faktor bei den Wahlen

Was eine Teilnahme Großbritanniens bedeutet

Der Brexit-Faktor bei den Wahlen

Von Andreas Heitker, BrüsselEs gibt in Brüssel mittlerweile nur noch wenige Menschen, die nicht mit einer Teilnahme Großbritanniens an den Europawahlen rechnen. Zwar wäre es theoretisch noch möglich, dass der Austrittsvertrag vom britischen Unterhaus doch noch bis zum 22. Mai ratifiziert wird. Nur sehr realistisch scheint diese Option nicht. “Die Briten sind aller Wahrscheinlichkeit nach am Tag der Europawahl noch in der Europäischen Union”, sagte vor wenigen Tagen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Und dann gelte der EU-Vertrag, wonach Bürger in allen Mitgliedstaaten das Recht hätten, auch an den Wahlen teilzunehmen. Auch das EU-Parlament erwartet mittlerweile wieder eine britische Teilnahme: In die jüngsten Prognosen wurden anders als noch vor wenigen Wochen die britischen Stimmen wieder mitberücksichtigt (siehe Grafik).Sollte das Vereinigte Königreich nun tatsächlich Abgeordnete (auf Abruf) nach Brüssel und Straßburg senden, wäre zunächst einmal die längst beschlossene neue Sitzverteilung im Plenum wieder hinfällig. Diese sah vor, das Europaparlament von 751 auf 705 Sitze zu verkleinern. 27 bislang Großbritannien zugeschlagene Mandate sollten unter rund der Hälfte der anderen EU-Länder verteilt werden, die bisher leicht unterrepräsentiert gewesen waren. Frankreich und Spanien hätten demnach je fünf zusätzliche Sitze erhalten, Italien und die Niederlande je drei. Diese regionale Neuverteilung würde erst einmal ausfallen. Auf Deutschlands 96 Mandate hat eine britische Teilnahme oder Nichtteilnahme keinen Einfluss.Insgesamt erhielten Engländer, Schotten, Waliser und Nordiren bei einem Urnengang wie bisher 73 Sitze im EU-Parlament. Noch zeichnet sich kein ganz klares Bild ab, aber die meisten Experten rechnen im Grundsatz damit, dass Labour eher gestärkt aus der Wahl hervorgehen würde, dass die Tories abgestraft würden und dass nationalistische Populisten viele Stimmen der vom Brexit-Prozess frustrierten Wähler einsammeln dürften. Im aktuellen EU-Parlament sind zurzeit zwar auch Stimmen zu hören, die von einer klaren Mobilisierung der proeuropäischen Kräfte im Wahlkampf ausgehen. Sie hoffen, dass die Europawahl als eine Art neues Referendum ein deutliches Zeichen gegen den Brexit setzen könnte. Übersehen können aber diese Optimisten auch nicht, dass laut aktuellen Umfragen die neue Brexit-Partei des Anti-EU-Kämpfers Nigel Farage aus dem Stand heraus die meisten Stimmen erhalten könnte. “Trojanisches Pferd”Dass dies alles die Arbeit des neuen Parlaments sowie die Entwicklung der EU-27 insgesamt beeinflussen wird, ist offensichtlich. Der gesetzgeberische Zyklus in Brüssel beginnt zwar erst wieder mit dem Start der neuen EU-Kommission, also frühestens im November. Wichtige Entscheidungen werden bis dahin auch eher im Rat als im Parlament getroffen, zum Beispiel zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen. Aber allein die Wahl des neuen EU-Kommissionspräsidenten könnte durch die Zahl der britischen Labour-Abgeordneten beeinflusst werden.Aus der konservativen Partei in London kamen bereits Drohungen, man wolle die Arbeit des Parlaments sabotieren. “Wir werden ein Trojanisches Pferd innerhalb der EU werden und ihre Versuche, ein föderalistischeres Projekt zu verfolgen, völlig entgleisen lassen”, war kürzlich ein Tory-Abgeordneter zitiert worden. Brexit-Hardliner Jacob Rees-Mogg hatte ebenfalls schon getwittert, sollten die Briten noch länger in der EU feststecken, dann sollten sie für die EU-Partner “so schwierig wie möglich” werden.