Der digitale Euro – wirklich?
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat jüngst beschlossen, das Projekt digitaler Euro zu beginnen und damit – wie es Zentralbankchefin Christine Lagarde formulierte – „einen Gang hochzuschalten“. Blockchain-Enthusiasten, Payment-Revolutionäre, First Mover und Bankenkritiker klatschen Applaus. Doch niemand scheint so genau zu wissen, was Inhalt des Projekts sein soll. Für gut befunden wird unisono, dass „wir“ jetzt privatwirtschaftlichen und nationalstaatlichen Bestrebungen, digitale Währungen zu etablieren, etwas entgegensetzen.
Umfrage nicht repräsentativ
Dem medienwirksamen Startschuss des Projekts digitaler Euro ging eine Studie der europäischen Währungshüter voraus. Grundlage sind rund 8000 ausgefüllte Fragebögen – wobei die Mehrfachteilnahme möglich war. 47% der Teilnehmer gaben an, aus Deutschland zu sein. 87% der Teilnehmer gaben an, männlichen Geschlechts zu sein. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass weniger als 49% der Bevölkerung Männer sind und auch nur 18,6% der Europäer aus Deutschland kommen. Darüber hinaus gab ein signifikanter Teil der Teilnehmer an, beruflich mit dem Thema befasst und in der Tech-Industrie tätig zu sein. Die Studie ist also alles andere als repräsentativ.
Als Grund für einen digitalen Euro gibt die Zentralbank selbst an, dass damit „alltägliche Zahlungen einfach und sicher erledigt werden“ könnten und der „Übergang der europäischen Wirtschaft in das digitale Zeitalter unterstützt und Innovationen im Massenzahlungsverkehr aktiv“ gefördert würden. Diesen Leerformeln werden von Befürwortern des digitalen Euro weitere Begründungen hinzugesetzt: Mal geht es um das Misstrauen gegenüber privatwirtschaftlich organisierten Zahlungswegen, mal darum, mit Staaten wie China, den Bahamas (und deren Krypto-Sand-Dollar) und El Salvador (wo der Bitcoin offenbar derzeit als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannt wird) mitzuhalten. Es geht also um Geschwindigkeit, Sicherheit, Innovation, Transaktionskostenreduzierung und Wettbewerb.
Für den Bürger wäre der Unterschied zwischen dem digitalen Euro und einer Zahlung per Karte oder Überweisung sowieso nicht ohne Weiteres erkennbar. Bei den heutigen Zahlungswegen hat der Bankkunde einen Anspruch gegen sein Kreditinstitut, trägt also – gäbe es die Einlagensicherung nicht – das Risiko der Insolvenz seiner Bank. Beim digitalen Euro würde hingegen eine eigentumsähnliche Rechtsposition erworben. Der Vorteil läge auf der Hand, wenn in Europa ständig Banken in die Pleite rutschten und deren Kunden den belastenden Folgen der Insolvenz ausgesetzt wären.
Viele Risiken
Angesichts der Tatsache, dass der Bezahlvorgang mit einer Kreditkarte an der Tankstelle wenige Sekunden in Anspruch nimmt, kann die Zeitersparnis durch den digitalen Euro nicht allzu groß sein. Dass beispielsweise Bitcoin-Transaktionen langsam sind und sich schon deswegen nicht dazu eignen, an der Supermarktkasse zu bezahlen, ist allgemein bekannt. Geschwindigkeit kann also nicht das Argument sein.
Zweifelhaft ist auch, dass sich Transaktionskosten reduzieren lassen. An Zahlungsdiensten kann die Kreditwirtschaft sich bereits heute keine sprichwörtlich goldene Nase verdienen. Die EZB könnte Transaktionskosten allerdings entkoppeln und solidarisieren.
Wie sehr sich Europa an China orientieren muss oder soll, mag dahinstehen. Gleiches gilt für die Bahamas und El Salvador in ihrer Rolle als vermeintliche Innovationstreiber.
Durch den digitalen Euro nähmen Bankeinlagen signifikant ab. Dies würde dazu führen, dass Kredite nicht mehr im bisherigen Umfang durch die Transformationsleistung der Kreditwirtschaft gewährt werden können. Sie wären über den Kapitalmarkt zu refinanzieren, was Kredite verteuern oder, je nach Risiko, ausschließen würde. Der Rückgang dieser Kerngeschäfte hätte auch Folgen für die Kreditwirtschaft insgesamt.
Aus der Umfrage der Zentralbank ergibt sich, dass die vom Bargeld bekannte Anonymität bei Zahlungen die wichtigste Funktionalität sein soll. Diese Funktionalität wird der digitale Euro aber niemals haben. Unter dem Gesichtspunkt der Geldwäschebekämpfung werden anonyme Zahlungen zukünftig noch weiter zurückgedrängt werden.
Unter Sicherheitsaspekten scheint das jetzige, dezentrale Angebot von Kredit- und Zahlungsinstituten jeder zentralen Lösung überlegen zu sein: Die Technologie des digitalen Euro würde jeden Cyberkriminellen, organisierten Wirtschaftsstraftäter und Schurkenstaat dazu beflügeln, sie anzugreifen.
Angesichts des Umstands, dass Funktionsweise und Vorteile einer digitalen Währung der Europäischen Zentralbank nicht klar sind, dass ganz erhebliche Nachteile damit einhergingen und weitere Folgerisiken bislang weder erhoben noch bewertet wurden, stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, dass sich die Behörde in den Wettbewerb mit der Privatwirtschaft begibt.
Herausfordernde Zeiten
Will die EZB ernsthaft direkte Kundenbeziehungen zu rund 340 Millionen Menschen im Euroraum einrichten und unterhalten? Soll sich die Europäische Zentralbank in diesen herausfordernden Zeiten nicht primär auf ihre Kernzuständigkeiten Preisstabilität und Bankenaufsicht fokussieren? Soll die Bankenaufsicht der EZB nicht die privatwirtschaftlichen Modelle bestmöglich und kritisch begleiten, um Geschwindigkeit, Transparenz, Datenschutz, Geldwäschevermeidung, Innovation und Transaktionssicherheit zur Geltung zu verhelfen?
Um auf – virtuellen – Konferenzen mit innovativen Teilnehmern zu diskutieren, ist das Thema digitaler Euro aber sicherlich kurzweiliger als andere Themen aus dem Bereich der Europäischen Zentralbank.