Der Finanzmarktflüsterer

Von Stephan Lorz, Frankfurt Börsen-Zeitung, 25.9.2015 Finanzmarktökonomen leben schon wegen der Natur ihres Forschungsfeldes in einer symbiotischen Beziehung mit den Akteuren auf den Finanzmärkten: Sie zeichnen Entwicklungen nach, erklären...

Der Finanzmarktflüsterer

Von Stephan Lorz, FrankfurtFinanzmarktökonomen leben schon wegen der Natur ihres Forschungsfeldes in einer symbiotischen Beziehung mit den Akteuren auf den Finanzmärkten: Sie zeichnen Entwicklungen nach, erklären Unregelmäßigkeiten, finden – zumindest für eine Weile – Gesetzmäßigkeiten, welche durch Strukturen und das Verhalten der Investoren, Banken und Kreditnehmer bestimmt werden, und basteln an Modellen, die möglichst genau Variablen des Systems simulieren können. Umgekehrt nutzen viele Finanzmarktakteure diese Erkenntnisse, wenn sie sich im monetären Ozean freischwimmen wollen. Viele Theorien sind schon entwickelt worden, die das Systemverhalten abbilden; aber nur wenige überdauern die Jahrzehnte und haben sich als so flexibel erwiesen, dass sie jedem Finanzökonomen geläufig sind.Die Arbeiten von Stephen A. Ross gehören auf jedem Fall dazu. Er wurde jetzt mit dem Deutsche Bank Prize in Financial Economics ausgezeichnet. Deutsche-Bank-Co-Chef Jürgen Fitschen sieht in ihm sogar einen der “einflussreichsten Finanzökonomen unserer Zeit”. Jan P. Krahnen, Vorsitzender der Preis-Jury und Direktor des Frankfurter Center for Financial Studies (CFS) lobte bei der Preisverleihung den “herausragenden Beitrag von Ross zur analytischen Entwicklung der Finanzökonomie”. Ross selbst versteht es als seine Aufgabe als Ökonom, angesichts der wachsenden Komplexität der Finanzmärkte den Austausch von Ideen und Ansätzen zu verbessern, “um das Verständnis von Marktmechanismen voranzutreiben”.Bekanntheit erreichte Ross vor allem durch seine Arbitrage Pricing Theory, die nicht nur im Bereich der Unternehmensfinanzierung, sondern auch in vielen anderen Sektoren der Wirtschaft allgegenwärtig ist. Er ist zudem Miterfinder des heute vorherrschenden Konzepts einer risikoneutralen Bewertung von Finanzprodukten und des sogenannten Binomialmodells der Optionspreistheorie.Nur wenigen Finanzökonomen ist es zudem vergönnt, dass ihre Forschungen in die reale Finanzwelt Eingang finden und das Verhalten der Akteure mitbestimmen. Auch das ist bei Ross der Fall. Seine Theoreme und Modelle sind vielfach Basis für die Planung und die Strategien in der Vermögensverwaltung etwa bei Pensionsfonds und Lebensversicherungen. Viele Investmentbanken, lobt Fitschen, hätten ihre Optionsgeschäfte sogar auf dem Ross’schen Modell für Optionspreise aufgebaut.Auch der Nobelpreisträger von 1997, Robert C. Merton, strich in seiner Würdigung heraus, dass sich hier Wissenschaft und Märkte gegenseitig beeinflussten. Viele Krisen habe der Finanzmarkt schon erlebt und sich doch immer wieder anpassen können. Unter tatkräftiger Mithilfe von Ökonomen wurden neue Instrumente und Marktsektoren entwickelt, um die neuen Herausforderungen zu bestehen. Der Drang nach immer besseren Modellen sei groß, um etwa in einer immer risikoreicheren Welt neue Formen der Absicherung für Pensionsvermögen und -verpflichtungen zu finden.Doch entstehen durch diese symbiotische Beziehung auch neue Risiken wegen der damit einhergehenden Selbstreferenzialität: Modelle setzen sich durch, Märkte passen sich diesen dann an, was wiederum Herdenverhalten verstärkt und erneut Modell-Updates nach sich zieht. Merton spricht von “fundamentalen Auswirkungen” der theoretischen Arbeiten auf das Verhalten der Finanzmarktakteure.Ross kennt diese Grauzone und Gefahren, ist er doch selbst einer dieser Grenzgänger. Er lehrt als Franco Modigliani Professor für Finanz- und Wirtschaftswissenschaft an der Sloan School des MIT, war zuvor an der Yale University und der Wharton School in Pennsylvania. Er ist zudem als Berater im Finanzsektor tätig, war einst etwa im Verwaltungsrat der US-Hypothekenbank von Freddy Mac. Er ist u.a. Mitbegründer von Roll and Ross Asset Management, ist Vorsitzender des American Express Advisory Panel und sitzt dem Investment Committee des California Institute of Technology (CalTech) vor. ——–Der US-Finanzökonom Stephen A. Ross erhält den Deutsche Bank Prize in Financial Economics——-