UNTERM STRICH

Der Finanzminister als politischer Geisterfahrer

Börsen-Zeitung, 20.10.2018 SPD-Vize und Bundesfinanzminister Olaf Scholz arbeitet zielstrebig auf ein einstelliges SPD-Ergebnis auch bei der nächsten Wahl hin. Zwar kommen die Sozialdemokraten in Hessen laut jüngsten Umfragen bei der Landtagswahl in...

Der Finanzminister als politischer Geisterfahrer

SPD-Vize und Bundesfinanzminister Olaf Scholz arbeitet zielstrebig auf ein einstelliges SPD-Ergebnis auch bei der nächsten Wahl hin. Zwar kommen die Sozialdemokraten in Hessen laut jüngsten Umfragen bei der Landtagswahl in einer Woche noch auf 20 % der Stimmen und damit knapp hinter den Grünen auf Platz drei. Doch für die berühmte Sonntagsfrage (“Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre . . .”) ermittelte das ZDF-Politbarometer gerade nur noch 14 % für die SPD – hinter Union, Grünen und AfD. Da ist der Weg bis zu bayerischen Verhältnissen nicht mehr weit, wo nur noch 9,7 % der Wähler das Kreuzchen für die SPD machten. Im Stimmkreis Straubing übrigens rutschte die SPD sogar unter die 5-Prozent-Marke. Volkspartei SPD ohne Volk Vielleicht sollte sich der ehemalige Erste Bürgermeister von Hamburg und heutige Bundesfinanzminister und Vizekanzler mal mit dem ehemaligen Münchener SPD-Oberbürgermeister über die Gründe für die Talfahrt der Sozialdemokratie unterhalten. Für den gut zwei Jahrzehnte bis 2014 die bayerische Landeshauptstadt regierenden Christian Ude ist die Sache klar: Die SPD hat sich weit, zu weit von ihrer Stammwählerschaft entfernt und negiert konsequent die Themen, die ihre einstige Klientel umtreiben: Von Migration bis zum demografischen Wandel. Die SPD sei zu einer “Betriebsräte-Partei” verkommen.Doch Olaf Scholz scheint das wenig zu beeindrucken. Kaum von der Herbsttagung von IWF und Weltbank auf Bali zurück, von wo er angeblich wegen der Bayernwahl vorzeitig heimflog, aber am Wahlabend weder im Willy-Brandt-Haus noch in den TV-Talkshows gesichtet wurde, lancierte sein Ministerium ein sogenanntes Non-Paper. Thema: ein Fonds für eine europäische Arbeitslosenversicherung (European Unemployment Stabilization Fund). Auf dieses Thema haben die Wähler in Deutschland, wo die Arbeitslosenquote mit 5,0 % auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken ist und die Unternehmen mehr als 800 000 offene Stellen gemeldet haben, sicher brennend gewartet!Natürlich werden die Menschen auf der Straße, wenn man sie fragt, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Frage der sozialen Gerechtigkeit als sehr wichtige Themen bezeichnen. Viele Jahre standen sie im Brennpunkt. Aber diese Themen sind nicht (mehr) wahlentscheidend. Denn Befragungen zeigen auch, dass die meisten Deutschen der Meinung sind, es gehe ihnen wirtschaftlich so gut wie lange nicht mehr. Der nächste Transfer-TopfDass damit zugleich die Freude am Teilen des mühsam Erwirtschafteten mit notleidenden europäischen Nachbarn gestiegen ist, sollten Politiker besser nicht unterstellen. Deutsche Wähler dürften wenig Verständnis dafür haben, dass sie – auf welchem Wege auch immer – für Arbeitslosigkeit in europäischen Nachbarländern zur Kasse gebeten werden sollen. Darauf würde es am Ende aber hinauslaufen, was jetzt als Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungen der EU-Länder vom deutschen Finanzministerium ventiliert wird.Auf dem Papier beziehungsweise im Non-Paper sieht die Sache einfach aus. Unter bestimmten Bedingungen würden aus dem Topf der Rückversicherung, in den die Mitgliedsländer ihrer Wirtschaftskraft entsprechend einzahlen, in Krisenzeiten nationale Arbeitslosenversicherungen unterstützt und damit finanzielle Engpässe in von der Krise betroffenen Ländern vermieden. Ziel ist es, in Krisen beispielsweise nicht die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöhen zu müssen und damit prozyklisch die Krise zu verschärfen. Nach der Krise sollen die Gelder dann zurückgezahlt werden. Ein Stück Solidarität also, ein Beitrag zur Stärkung Europas. “Weil Italien Italien ist”Der europäische Geist, den Scholz mit dem Projekt beleben will, stand freilich auch am Anfang der Währungsunion. Heute müssen wir beim Blick nach Italien, aber auch zu anderen EU-Ländern erkennen, wie sich dieser Geist verflüchtigt hat. Europäische Solidarität hat sich in Forderungen nach Vergemeinschaftung manifestiert und in Rettungsschirmen und Transferzahlungen materialisiert. An die gemeinsam beschlossenen Bedingungen für diese Transferleistungen fühlen sich nationale Regierungen nicht gebunden, schon gar nicht, wenn sie dem Kampf gegen die als Diktat empfundenen EU-Auflagen ihren Wahlerfolg zu verdanken hatten. Genau so würde es auch beim Fonds für die EU-Arbeitslosenversicherung kommen.Wenn die Kosten hoher Arbeitslosigkeit durch Kredite der EU zumindest vorübergehend auf andere Länder oder spätere Generationen verschoben werden können, fehlt der Druck zur Bekämpfung der Gründe für Arbeitslosigkeit wie veraltete industrielle Strukturen, verfehlte Bildungspolitik, inflexible Arbeitsmärkte und auch falsche finanzielle Anreize. Glaubt der Bundesfinanzminister wirklich, nationale Regierungen wie Italiens rechtspopulistische Koalition würden sich hier ihre Politik vorschreiben lassen und sich an zu vereinbarende Mindeststandards halten? Wie sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerade so entlarvend zum abgelehnten italienischen Budgetplan: “Wir waren sehr freundlich, milde, positiv zu Italien, weil Italien Italien ist.” Und wenn es nicht Italien ist, dann werden es Griechenland oder Spanien oder eines Tages vielleicht auch Frankreich oder Deutschland sein. Nächste Quittung in HessenIn allen diesen Ländern sind Nationalismus und Rechts- und Linkspopulismus auf dem Vormarsch. Wer vor diesem Hintergrund glaubt, mit einem neuen Vehikel für Finanztransfers im Euroraum die Fahrt nach Europa beschleunigen zu können, ist ein politischer Geisterfahrer. Denn in Wahrheit arbeitet er mit solchen Vorhaben den Europa-Gegnern in die Hände. Dafür werden Scholz und die SPD bei den nächsten Wahlen – schon in einer Woche in Hessen – wieder die Quittung bekommen.—– c.doering@boersen-zeitung.de—–Von Claus DöringMit seinen Plänen für weitere Finanztransfers in der Eurozone arbeitet Finanzminister Olaf Scholz den Europa-Gegnern in die Hände. —–