Der kalte Krieg ist zurück

Neuauflage der Rivalitäten zwischen den USA und Russland hat vor allem wirtschaftliche Dimension - Scharfe Konkurrenz bei Öl, Gas und Waffen

Der kalte Krieg ist zurück

Dass die Vereinigten Staaten und Russland miteinander wetteifern, ist nichts Neues. Aber mittlerweile tragen die beiden Großmächte diesen Wettkampf zu einem bedeutenden Teil wirtschaftspolitisch aus. Das hat vor allem damit zu tun, dass die USA immer stärker in vormals russische Kerngeschäfte eindringen.Von Eduard Steiner, MoskauDie Kontrahenten haben sich manchmal gegenseitig vom Flugzeug aus gesehen. Einmal flogen die Amerikaner gerade weg, als die russischen Abgesandten landeten. Einmal war es umgekehrt, wie ein Insider im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erzählt. Zeitweise war es so, dass die dänischen Behörden nur noch die US-Vertreter empfingen. Seit Neuem aber dürfen auch die Kontrahenten aus dem Osten wieder zu Gesprächen nach Kopenhagen kommen, um das Wettrennen noch zu gewinnen. Zankapfel Nord Stream 2Es ist ein harter Kampf, den Washington und Moskau austragen – Teil eines neuen Kalten Kriegs. Und da auch ein solcher Wettstreit einen Schauplatz braucht, fiel die Wahl im aktuellen Fall eben auf Kopenhagen. Der Ostseeanrainer Dänemark nämlich ist zum Zünglein an der Waage geworden, ob die umstrittene russische Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 fertiggestellt werden darf. Sagen die Dänen demnächst Ja, kann ab 1. Januar 2020 zusätzliches russisches Gas nach Europa fließen. Sagen sie Nein, bleibt Russland zwar größter Lieferant der Europäer. Aber die USA hätten sich mehr Spielraum für künftig ungleich größere Marktanteile in Europa geschaffen. Denn dass es ihnen sehr wohl darum geht, haben sie zugegeben.Knapp drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion erlebt die Welt also eine Neuauflage des Kalten Kriegs. In Gang ist er seit einem Jahrzehnt, nachdem Moskau den USA außen- und sicherheitspolitisch die Stirn zu bieten begann. Im Unterschied zum alten Kalten Krieg von 1947 bis 1989 freilich findet er heute nur noch zum Teil auf der geostrategischen und ideologischen Ebene statt. Der neue Kalte Krieg wird gerade auch auf der Wirtschaftsebene ausgetragen.Das war einst nur eingeschränkt der Fall. Ob Wettrüsten, Raumfahrt, Wissenschaft oder Technik – ein Vorsprung sollte mehr die systemische Überlegenheit untermauern als die Wirtschaftsmacht. Denn wirtschaftlich kam man einander ohnehin kaum in die Quere.Das hat sich inzwischen geändert. Und zwar nicht, weil Russland zwischenzeitlich ökonomisch deutlicher an Stärke gewonnen hat als erwartet. Die wirtschaftliche Kollision kommt daher, dass die USA genau in Russlands Kerngeschäften reüssieren. Binnen eines Jahrzehnts haben sie es geschafft, mit Hilfe der ökologisch umstrittenen Fracking-Fördermethode auf dem Gas- und dem Ölmarkt zum wichtigen Akteur aufzusteigen.Der Durchbruch in der Gasbranche erfolgte 2018: Nicht nur, dass die USA mit einem Förderplus von 11,5 % auf 864 Mrd. Kubikmeter einen Rekord erzielten, nachdem sie Russland schon zuvor auf Platz 2 verwiesen hatten. Sie wurden erstmals auch Gas-Nettoexporteur. Zwar ist der Exportüberhang von 20 Mrd. Kubikmetern nicht berauschend. Die Dynamik aber ist es sehr wohl. Denn während der Import seit Beginn des Jahrzehnts auf nun 80 Mrd. Kubikmeter fiel, stieg der Export von 2014 bis 2018 auf das Zweieinhalbfache von nun 100 Mrd. Kubikmeter. Vor allem die Ausfuhr von Flüssiggas (LNG) auf den Weltmarkt legte rasant zu: von 2017 auf 2018 um 50 % auf 30 Mrd. Kubikmeter. Die in Bau befindlichen LNG-Terminals können den LNG-Export um das Eineinhalbfache erhöhen.Das ist alles natürlich kein Vergleich zu den 200,8 Mrd. Kubikmetern Gas, die Russland 2018 exportiert hat – übrigens alles nach Europa und in die Türkei, weil andere Exportrouten fehlen. Aber die USA blicken nach vorn und wissen, dass sie mit dem Fracking immer mehr fördern. Deshalb treiben sie nicht allein in Dänemark intensiv Lobbyarbeit – mit dem Argument, Europa aus der Gasabhängigkeit von Russland zu helfen. Die USA haben auch ein Sanktionsgesetz verabschiedet, das gegen die Betreiber von Nord Stream 2 und die Finanziers wie Wintershall angewendet werden kann. Wettstreit auf Chinas MarktDie USA würden die Konkurrenz mit Russland fürchten, hat Russlands Energieminister Alexander Nowak diese Entwicklungen neulich im Interview der Börsen-Zeitung kommentiert. Und Alexis Rodzianko, Präsident der US-Handelskammer in Moskau, hat dies im Gespräch bestätigt: “Ich denke, das ist so.”Und zwar wohlgemerkt nicht nur in Europa. Auch auf dem Großmarkt China wetteifern beide um Marktanteile. Und je problematischer das US-Verhältnis mit China werde, umso aggressiver werden die USA auf den europäischen Markt drängen, prognostizieren Analysten.Das massive Fracking in den USA hat nicht nur im Gas-, sondern auch im Ölsektor die Konkurrenzsituation verändert, schließlich sind die USA inzwischen zum größten Ölproduzenten vor den klassischen Förderländern Saudi-Arabien und Russland aufgestiegen. Im November 2018 haben sie erstmals seit den 1940er Jahren wieder mehr Öl exportiert als importiert. Und wenn die Internationale Energieagentur recht behält, werden die Amerikaner in den nächsten fünf Jahren zum weltweit wichtigsten Ölexporteur aufsteigen.Das drückt den Preis. Und das hat Riad und Moskau, traditionell keine Freunde, zusammenrücken lassen und gemeinsam mit anderen zu Förderkürzungen veranlasst. Diese stabilisierten vorerst zwar den Preis. Wenn aber die USA wieder einen Gang zulegen, weil die Förderung technologiegetrieben noch billiger wird, dürfte der Preis wieder fallen und den Staatshaushalt der Saudis und Russen empfindlich belasten.Gerade das traditionell mit den USA verbündete Saudi-Arabien sitzt im Wettstreit zwischen den USA und Russland zwischen zwei Stühlen. Immerhin hat Donald Trump nun am Kongress vorbei 22 Waffenlieferungen im Wert von umgerechnet 7,2 Mrd. Dollar an die Saudis durchgesetzt – während die Russen die Amerikaner übrigens auf dem türkischen Waffenmarkt ausbooteten.Der Waffenmarkt ist nämlich der dritte große Sektor, wo Washington und Moskau wirtschaftlich wetteifern und kollidieren. Und der Trend zeigt, dass die USA auch hier den Spielraum für die Russen einengen. Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri im März mitteilte, steigerten die USA ihre weltweiten Waffenexporte in den Jahren 2014 bis 2018 im Vergleich zu den vorherigen fünf Jahren um 29 % und halten bereits 36 % des Weltmarktes.Die Russen rangieren mit 21 % Marktanteil zwar immerhin noch auf dem zweiten Platz. Aber sie haben Federn lassen müssen und um 17 % verloren, wie Sipri erklärt.Stellenweise haben auch US-Sanktionen gegen den russischen Waffensektor im Konkurrenzkampf geholfen. So wie die rege Besuchstätigkeit in Kopenhagen und die angedrohten Sanktionen gegen Nord Stream 2 beim Wettstreit helfen sollen. Denn dass es hier wie dort letztlich um die Wirtschaft geht, hat schon US-Altpräsident Bill Clinton gesagt: “It’s the economy, stupid.”