IM INTERVIEW: NILS SCHMID

"Der Länderfinanzausgleich ist ungerecht"

Baden-Württembergs Wirtschafts- und Finanzminister über nachhaltige Finanzpolitik, EZB-Anleihekäufe, Griechenland und die Anpassung der Erbschaftsteuer

"Der Länderfinanzausgleich ist ungerecht"

Baden-Württembergs Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid ist zuversichtlich, bis Juni Änderungen beim Länderfinanzausgleich zu erreichen. Im Interview der Börsen-Zeitung machte er gleichzeitig deutlich, dass er sich verstärkt in die Diskussion um eine Anpassung der Erbschaftsteuer einbringen will.- Die grün-rote Landesregierung ist jetzt vier Jahre im Amt. Nächstes Jahr gibt es Landtagswahlen. Was haben Sie im Wirtschafts- und Finanzministerium anders gemacht als die Vorgängerregierungen?Mir sind vor allem zwei Dinge wichtig. Wir betreiben eine nachhaltige Finanzpolitik und schaffen 2016 zum dritten Mal einen Haushalt ohne Neuverschuldung in dieser Wahlperiode. Wir bauen dabei aber auch die implizite Verschuldung ab, indem wir den Sanierungsstau bei Straßen und Hochschulen sowie Schulen abbauen.- Steht Baden-Württemberg besser da als vorher?Ich finde, wir haben das sehr gut hinbekommen. Das Land steht sehr gut da. Die Arbeitslosigkeit ist sehr gering. Wir stehen für eine dialogorientierte Wirtschaftspolitik, die Früchte trägt, und haben beispielsweise die Ganztagesbetreuung ausgebaut, was auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist.- Kritiker werfen Ihnen aber vor, dass angesichts sprudelnder Steuereinnahmen und extrem niedriger Zinsen viel mehr möglich gewesen wäre im Hinblick auf die Haushaltskonsolidierung.Der Landeshaushalt ist ein schwerer Tanker, und die Konsolidierung greift Schritt für Schritt. Das gilt etwa für die Personalkosten, deren Anstieg wir dämpfen. Wir haben bewusst in Kauf genommen, dass wir über eine Verstetigung sanieren und bis 2019 nachhaltig einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen können. Sollte die Konjunktur gut laufen, werden wir jedoch schon in den beiden Jahren davor die Null schaffen.- Würde das in der Koalition nicht neue Begehrlichkeiten im Hinblick auf eine Verteilung der Früchte des Wachstums wecken?Nein, die Sanierung des Haushaltes ist innerhalb der Koalition unumstritten. Wir brauchen die Null, wollen aber gleichzeitig in den Straßenbau, in die Sanierung von Schulen und Hochschulen sowie öffentlichen Gebäuden finanzieren. Unter den Vorgängerregierungen wurde viel zu wenig in den Erhalt der Strukturen investiert. Da gab es einen erheblichen Sanierungsrückstau, den wir jetzt auflösen müssen.- Wie viel investieren Sie denn zusätzlich?Ohne diese Investitionen hätten wir die Verschuldung stärker drücken können. Aber wir investieren bis 2016 mehr als 1,5 Mrd. Euro zusätzlich in Schulen und Hochschulen. Investitionen in Infrastruktur, Haushaltskonsolidierung und Sanierung müssen Hand in Hand gehen. Wir halten da die Balance.- In einigen Punkten sind Sie gegenüber ursprünglichen Sparplänen weniger ehrgeizig. Sie streichen weniger Lehrerstellen. Warum?Es gibt eine neue Schülervorausberechnung. Wir haben mehr Schülerinnen und Schüler als erwartet. Deshalb bauen wir weniger Lehrer ab. Es kommt hinzu, dass durch die Inklusion und den Ausbau der Ganztagesbetreuung mehr Lehrer benötigt werden. Die Richtung ist klar: Wir ermitteln Jahr für Jahr, wie viele Stellen tatsächlich gebraucht werden.- Gäbe es den Länderfinanzausgleich nicht, dann würden Sie längst Haushaltsüberschüsse haben. Warum beteiligen Sie sich nicht an der Klage Hessens und Bayerns gegen die derzeitige Verteilung?Der Länderfinanzausgleich ist ungerecht und setzt falsche Anreize. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts ersetzt jedoch Verhandlungen nicht. Wir wollen keinen Umweg über Karlsruhe mit ungewissem Ausgang gehen. Wir sind außerdem einen Schritt weiter, weil wir uns alle einig sind, dass der Solidaritätszuschlag bleiben soll, um Aufgaben in Infrastruktur und Bildung zu stemmen und gleichzeitig die Schuldenbremse einhalten zu können. Durch eine Integration des Solidaritätszuschlags in die Gemeinschaftssteuern wäre eine gerechtere Aufteilung möglich. Das wäre eine Basis, auf der wir die Verteilung neu diskutieren könnten.- Bis wann könnte es eine Einigung geben?Die Fakten liegen auf dem Tisch. Eine Klärung sollte in den nächsten Monaten kommen. Je früher es eine Einigung gibt, desto besser. Wir sollten das nicht in die Landtagswahlkämpfe des nächsten Jahres tragen.- Baden-Württemberg würde davon profitieren?Das ist unser Ziel.- Auch innerhalb Europas ist das Thema Verteilung von Mitteln zwischen Staaten umstritten. Griechenland fordert nun einen Schuldenschnitt, obwohl den Griechen ja im Hinblick auf Zinsen und Laufzeiten sowie mit einem ersten Schuldenschnitt sehr entgegengekommen wurde. Wie ist Ihre Meinung?Zunächst einmal ist die neue Regierung demokratisch gewählt. Es ist klar, dass Europa mit Griechenland sprechen muss. Athen dringt auf eine längere Übergangszeit und ein Strecken der Verpflichtungen. Klar ist aber auch: Die grundsätzlichen Verpflichtungen muss auch die neue Regierung einhalten.- Hat Europa nicht schon zu viel Geduld gehabt?Man kann Griechenland nicht hängen lassen. Die Bevölkerung hat einen hohen Preis gezahlt, denn die Maßnahmen haben die Wirtschaft stärker heruntergezogen, als man es erwartet hatte. Es besteht nun die historische Chance, mit einer neuen Regierung ohne Rücksicht auf alte Seilschaften die Strukturen der Wirtschaft neu zu ordnen und beispielsweise entschlossener Steuern einzutreiben sowie dazu endlich die wirtschaftlichen Eliten heranzuziehen. Diese Strukturreformen sind überfällig.- Ein Grexit steht also nicht auf der Tagesordnung?Das ist eine theoretische Diskussion, weil Griechenland im Euro bleiben will. Wir sollten keine falschen Debatten führen. Wir müssen uns zusammenraufen, denn es ist leistbar. In der neuen Regierung sitzen auch kompetente Leute, mit denen man reden kann. Die griechische Regierung muss nur lernen, dass Provokationen keine praktische Politik ersetzen.- Neben Griechenland wird die Entscheidung der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen zu kaufen, kontrovers diskutiert. Hat die EZB ihr Mandat verletzt?Nein, sie handelt rechtlich im Rahmen ihres Mandats. Von allen Institutionen der EU ist sie am geschlossensten und entschlossensten handlungsfähig. Die Abstimmung der anderen Institutionen in Europa lässt zu wünschen übrig. Die EZB ist deshalb in die Lage gerutscht, dass die Last des Handelns nun bei ihr liegt.- Kann Geldpolitik notwendige Strukturreformen ersetzen?Das Vorgehen der EZB ist unkonventionell und birgt unbestritten Risiken. Ich respektiere ihre Entscheidung, klar ist aber: Geldpolitik kann notwendige Strukturreformen nicht ersetzen. Durch die Anleihenkäufe kauft die EZB kurzfristig Spielräume, aber davon darf man sich nicht zu viel erhoffen, denn diese Maßnahme wirkt nicht so nachhaltig wie Strukturreformen. Die Herausforderung besteht darin, die strukturellen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu stärken. Es gibt ermutigende Zeichen aus Italien und Frankreich, und die Maßnahmen der französischen Regierung gehen in die richtige Richtung. Im Übrigen brauchen wir auch in Deutschland Initiativen, etwa zur Innovationsförderung.- In diesem Zusammenhang wird immer wieder kritisiert, dass für Start-ups in Deutschland zu wenig Venture Capital bereitsteht. Warum hat die Bundesregierung noch immer kein entsprechendes Gesetz, das Bestandteil des Koalitionsvertrages ist, an dem Sie mitgewirkt haben, hingebracht? Ist das Thema nicht wichtig genug?Ich habe das Gefühl, dass das Thema auch in Berlin angekommen ist. Wir haben mit dem Venture-Capital-Fonds Baden-Württemberg einen ersten Beitrag geleistet, um hier voranzukommen. Die wirksamste bundespolitische Maßnahme ist aber die steuerliche Förderung von Forschungs- und Entwicklungsausgaben. Das ist längst überfällig.- Sie genießen in Baden-Württemberg einen guten Ruf. Warum hört man Ihre Stimme nicht stärker auf bundespolitischer Ebene?Wir haben mit Herrn Gabriel einen starken SPD-Wirtschaftsminister im Bund. Ich fühle mich durch ihn gut vertreten. Aber es gibt Themen, bei denen ich mich verstärkt geäußert habe: zum Beispiel zum Thema Strafbefreiung bei Selbstanzeigen in Steuerfragen und generell zum Thema Steuergerechtigkeit. Ein wichtiges aktuelles Anliegen ist mir auch die Anpassung der Erbschaftsteuer, weil das Thema für Baden-Württemberg große Bedeutung hat. Ich stehe da in engem Austausch mit den Unternehmensvertretern und -verbänden, weil wir hier im Land viele Unternehmen haben, die nicht nur in Quartalszeiträumen denken und vor Nachfolgefragen stehen. Ich werde sehr deutlich machen, dass wir kein Interesse an fundamentalen Veränderungen haben und dass das Betriebsvermögen geschont werden muss, um Arbeitsplätze zu erhalten. Schäuble muss da eine gemeinsame Bund-Länder-Gruppe einsetzen, denn klar ist: Änderungen brauchen die Zustimmung der Länder.- Eine der Nebenerscheinungen der EZB-Politik sind die Niedrigzinsen. Die Bürger sind gehalten, ihre Altersvorsorge teilweise in die eigenen Hände zu nehmen. Das ist kaum noch möglich zu vernünftigen Zinsen.Ich bin darüber besorgt. Die Frage ist, wie lange diese Situation dauert. Man darf jetzt nichts dramatisieren, aber wir brauchen gesetzgeberische Vorkehrungen. Beim Garantiezins haben wir vorsichtig nachjustiert, auch bei der Frage der Auszahlung der Überschussbeteiligungen an ausscheidende Versicherte. Wir müssen die Stabilität der privaten Vorsorge aufrechterhalten und zwar auch für diejenigen, die ihre Altersversorgung erst in vielen Jahren brauchen.- Die Geldanlage wird durch Überlegungen zur Einführung der Transaktionssteuer noch erschwert, da sie etwa Aktien beträfe. Sie sind dafür, haben aber eine differenzierte Meinung dazu.Wir müssen einen Weg finden, damit die Transaktionssteuer nicht zu starke schädliche Nebenwirkungen hat. Wir dürfen sie aber nicht aufgeben. Um Kollateralschäden zu vermeiden, müssen wir sie so ausgestalten, dass reine Spekulation gedämpft wird, Privatanleger aber nicht zu stark betroffen sind.- Eine Schülerin sorgte kürzlich mit einem Tweet, in dem sie den Mangel an wirtschaftlicher Bildung in der Schule beklagte, für Aufsehen. Sie führen hier im Land demnächst das Fach Wirtschaft flächendeckend ein.Ja, denn die Vorbereitung in den Schulen auf das Wirtschafts- und Berufsleben kommt zu kurz, und die Berufsorientierung in den Gymnasien wird vernachlässigt. Nicht jeder Abiturient will schließlich studieren. Jeder Schüler soll ein mündiger Wirtschaftsbürger werden und nicht nur auf der abstrakten Ebene über den Wirtschaftskreislauf Bescheid wissen, sondern auch über konkrete Themen aus der Wirtschafts- und Arbeitswelt informiert werden. Deshalb wollen wir auch Akteure von außen in die Schulen holen: Unternehmer, Betriebsräte oder auch Verbraucherschützer.- Gegner dieses Konzepts warnen vor ideologischer Beeinflussung.Dieses Problem sehe ich nicht. Ich habe kein Problem damit, dass ein Unternehmer kommt. Die Ängste werden aufgebauscht. Das Unterrichtsmaterial wird geprüft. Das Fach soll im Übrigen so realitätsnah wie möglich sein. Da ist Input von außen ein guter Beitrag.—-Das Interview führte Gerhard Bläske.