LEITARTIKEL

Der Musterschüler fällt durch

Ministerpräsident Mariano Rajoy galt bisher als Musterschüler der von Brüssel vorgegebenen Reformpolitik in Europa. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Kollegen brachten das Beispiel der konservativen spanischen Regierung gerne als Vorbild...

Der Musterschüler fällt durch

Ministerpräsident Mariano Rajoy galt bisher als Musterschüler der von Brüssel vorgegebenen Reformpolitik in Europa. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Kollegen brachten das Beispiel der konservativen spanischen Regierung gerne als Vorbild einer erfolgreichen Haushaltspolitik ins Spiel. Seit seinem Amtsantritt Ende 2011 hat Rajoy das Land aus einer schweren Rezession auf einen robusten Wachstumskurs von 3,2 % im vergangenen Jahr zurückgeführt. Die Arbeitslosigkeit sinkt seit ein paar Jahren wieder von den zuvor erreichten Rekordständen, ebenso das Haushaltsdefizit.Doch nun verblasst die Erfolgsstory. 2015 lag das Defizit mit 5,2 % um 1 Prozentpunkt über dem mit Brüssel vereinbarten Ziel und die für 2016 angepeilten 2,8 % sind reine Utopie. Spaniens Notenbank und andere Experten rechnen mit einem Fehlbetrag von über 4 %. Die Maßnahmen der Konservativen rücken nun in ein anderes Licht. Die Regierung Rajoy stoppte den Abwärtstrend mit der Standardrezeptmischung aus Steuererhöhungen und drastischen Ausgabenkürzungen. Die Verbesserung der Finanzen und der Konjunktur hat jedoch auch sehr viel den Worten und Taten von EZB-Chef Mario Draghi zu verdanken, da sie die Zinslast für Spanien reduzierten.Spaniens Finanzminister Cristóbal Montoro wälzte die Schuld für die Abweichung von der Defizitvorgabe auf die Regionalregierungen ab. Diese verfehlten die Vorgabe eines Fehlbetrags von 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2015 um fast 1 Prozentpunkt. Das lag teilweise aber auch an der unzureichenden staatlichen Finanzierung vieler ihrer Dienstleistungen, etwa im Gesundheitsbereich. Zudem muss sich Montoro an die eigene Nase packen, denn er hat die Zügel bei der Kontrolle der 17 autonomen Regionen zuletzt ziemlich schleifen lassen, möglicherweise aus wahltaktischen Überlegungen. Montoro will nun die längst zur Verfügung stehenden Mechanismen zur stärkeren Kontrolle und eventuell Sanktionen gegen die Regionalregierungen auch einsetzen – nach Ansicht von Kritikern viel zu spät.Das andere große Loch in der Fiskalbilanz Spaniens – die Zentralregierung und die Gemeinden hielten 2015 die Vorgaben ein – entstand in der Sozialversicherungskasse, deren Defizit mit 1,7 % doppelt so hoch ausfiel wie vorgesehen. Und im laufenden Jahr wird es nicht besser, eher im Gegenteil. Denn die von der Regierung prognostizierten Mehreinnahmen durch mehr Beitragszahler dank des Rückgangs der Arbeitslosigkeit sind völlig unrealistisch. Das liegt auch an der Arbeitsmarktreform Rajoys. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt glücklicherweise stetig, doch es entstehen hauptsächlich prekäre oder schlecht bezahlte Stellen, mit minimalen Beiträgen, während die Ausgaben etwa für Renten viel stärker steigen.Schließlich müssen sich die Konservativen den Vorwurf gefallen lassen, aus wahltaktischen Gründen fahrlässig gehandelt zu haben. So wurde die zweite Phase der Steuersenkungen mit Blick auf die Parlamentswahlen im vergangenen Dezember recht spontan ein halbes Jahr vorgezogen. Dadurch entgingen dem Staat Milliarden. Trotzdem versprach Montoro bei der Vorlage des Haushaltsabschlusses 2015 vor einer Woche, dass die Konservativen auch in Zukunft weiter Steuern senken wollen, sollten sie an der Macht bleiben.Was Spanien jedoch dringend braucht, sind echte Strukturreformen. Rajoy hat den Patienten vor dem Verbluten gerettet und stabilisiert. Zur Heilung bedarf es aber anderer Maßnahmen als Ausgabenkürzungen und Abgabenerhöhungen nach dem Rasenmäherprinzip. Eine ausgewogene und gerechte Reform des Steuersystems ist unumgänglich, denn die Steuerquote in Spanien liegt mit weniger als 40 % des BIP klar unter dem EU-Durchschnitt. Auch der Arbeitsmarkt erfordert andere Maßnahmen als das reine Absenken des Kündigungsschutzes und die Flexibilisierung. Klar gilt das Motto, dass ein schlechter Arbeitsplatz besser ist als gar keiner, aber das kann langfristig nicht die Lösung sein. Eine Bildungsreform gehört zu den wesentlichen Maßnahmen, um Spaniens Wirtschaftsmodell mittelfristig zu verbessern.Auf die nächste Regierung kommt also allerhand zu. Doch zurzeit hängt alles in der Schwebe, da sich die vier wichtigsten Parteien mehr als drei Monate nach den Wahlen noch nicht auf ein Bündnis verständigt haben und Neuwahlen näher rücken. Wer auch immer letztlich an die Macht kommt, wird sich zunächst einmal mit der Haushaltslücke beschäftigen müssen.——–Von Thilo SchäferWer auch immer letztlich in Spanien an die Macht kommt, muss echte Reformen anpacken und die Haushaltslücke schließen.——-