LEITARTIKEL

Der reiche Staat

Reicht das öffentliche Geld? In Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur und geringerer Zuwächse bei den Steuereinnahmen steht die Finanzierbarkeit öffentlicher Aufgaben infrage, wenn der Schuldenstaat nicht wieder ausufern soll. Statt Mäßigung...

Der reiche Staat

Reicht das öffentliche Geld? In Zeiten einer sich abschwächenden Konjunktur und geringerer Zuwächse bei den Steuereinnahmen steht die Finanzierbarkeit öffentlicher Aufgaben infrage, wenn der Schuldenstaat nicht wieder ausufern soll. Statt Mäßigung zu zeigen, haben die Koalitionsparteien in jüngster Zeit aber kostenträchtige Reformvorschläge präsentiert – so als gäbe es mehr und nicht eher weniger Geld zu verteilen. Dabei hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) in seiner mittelfristigen Finanzplanung bis 2023 gerade ein Haushaltsloch von 25 Mrd. Euro entdeckt. Die SPD verspricht in einem Akt der Rückbesinnung auf ihre Wurzeln künftigen Generationen mehr Sozialleistungen: eine verbesserte Grundsicherung, mehr Leistungen für Arbeitslose und eine Grundrente ohne Bedürfnisprüfung. Teile der CDU/CSU zeigen sich dagegen zu Steuersenkungen entschlossen. Die Finanzpolitiker der Bundestagsfraktion reagieren auf den schärferen internationalen Steuerwettbewerb und wollen das Unternehmenssteuerrecht hierzulande modernisieren. Der CDU-Parteitag hatte sogar – über den Koalitionsbeschluss von Schwarz-Rot hinaus – die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags beschlossen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will das Ausufern des Sozialstaats rechtlich begrenzen. Im Grundgesetz soll ein Deckel von 40 % des Bruttolohns für die Beiträge zur Sozialversicherung verankert werden. Dies hilft zwar Arbeitgebern und Arbeitnehmern, erhöht tatsächlich aber die Ausgaben des Staates, wenn größere Teile der Sozialleistungen künftig aus Steuern finanziert werden müssten.Ökonomen sorgen sich dagegen derzeit um die Finanzierbarkeit der öffentlichen Investitionen. Michael Hüther vom arbeitgebernahen Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln forderte vergangene Woche in Berlin die Abschaffung der Schuldenbremse. Die Schuldenbremse begrenzt das konjunkturbereinigte strukturelle Defizit des Bundes auf 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und das der Länder auf null. Der Bremse attestierte Hüther zwar disziplinierende Wirkung bei der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte, aber der Ausbau der Verkehrswege oder der digitalen Netze sei damit nicht zu stemmen. Der IW-Chef plädierte für eine neuen “Investitionshaushalt”, den der Staat wieder mit Krediten finanzieren dürfe. Auch Marcel Fratzscher vom Wirtschaftsforschungsinstitut DIW hält die Schuldenbremse für eine Investitionsbremse.Die Wunschlisten der Parteien und die Kreativität der Ökonomen, neue Finanzquellen zu mobilisieren, überdecken eine überfällige Debatte: die über gesunde Finanzstrukturen und ein angemessenes Verhältnis von konsumtiven zu investiven Ausgaben des Staates. Zudem funktionieren die Mechanismen, die Konjunktur und Wirtschaft automatisch stabilisieren sollen, nicht mehr. Tatsächlich schöpft der Staat einen wachsenden Anteil vom BIP durch Steuern ab und gibt einen zunehmend höheren Anteil davon für Soziales aus. Kein Wunder, dass Investitionen zu kurz kommen.—–Von Angela WefersStatt neuer politischer Geschenke ist eine ehrliche Bestandsaufnahme nötig, wie viel der Staat abschöpfen und für Soziales ausgeben darf. —–