Der Schwung lässt auf sich warten
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Erst pfui, dann hui: Die deutsche Wirtschaft wird im ersten Quartal schrumpfen und auch erst gegen Mitte/Ende des zweiten Quartals Fahrt aufnehmen, für das Gesamtjahr aber steht eine kräftige Erholung an. Dies ist mittlerweile Konsens unter Ökonomen und spiegelt sich auch in der aktuellen Konjunkturampel wider, die das Prognoseinstitut Kiel Economics für die Börsen-Zeitung berechnet. Sie steht für das laufende Jahr auf Grün (siehe Grafik).
„Der Aufschwung kann kommen – sofern Pandemie und Politik es gestatten“, lautet die Voraussage von Institutsleiter Carsten-Patrick Meier. Gedämpft würde das Rezessionsrisiko vor allem durch „die deutliche Verbesserung der Geschäftslageeinschätzung der Unternehmen und die gestiegenen Geschäftserwartungen“. Auch sei die Unsicherheit in den Unternehmen gemessen an der Streuung der Geschäftserwartungen deutlich gesunken, auch wenn sie noch nicht das Vorkrisenniveau erreicht habe, erläutert Meier. Signalgeber der Konjunkturampel sind mehr als 50 vorlaufende, hauptsächlich erwartungsgetriebene Indikatoren, anhand derer sich die Wahrscheinlichkeit berechnet, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer ausgeprägten Abschwungphase wie zuletzt 2008/2009 befindet.
Trotz der Einschränkungen durch den zuletzt verschärften Lockdown zeigt sich ein insgesamt gesehen solides Konjunkturbild, wenn auch ein zweigeteiltes: Der robusten Industrie steht der schwächelnde Dienstleistungssektor gegenüber. Letztere leiden extrem unter den immer wieder verlängerten Infektionsschutzmaßnahmen. Seit mehr als einem Jahr hängt mittlerweile die wirtschaftliche Entwicklung vom unberechenbaren Verlauf der Corona-Pandemie ab, und es sieht nicht so aus, als würde sich daran so bald etwas ändern. Zwar zeichneten sich weltweit erste Erfolge der Impfkampagnen ab, doch sei mit Blick auf Deutschland angesichts der Engpässe bei den Impfstoffen und bei deren Verteilung nach wie vor ungewiss, ob die Seuche schon im Verlauf des Sommers weitgehend zurückgedrängt werden könne, sagte Meier.
Die Rahmenbedingungen für einen raschen Aufschwung der hiesigen Wirtschaft sieht er grundsätzlich gegeben, vor allem beim Export. Der Rückenwind kommt dabei insbesondere aus China und den USA. In China läuft die Konjunktur schon seit dem Jahreswechsel auf Hochtouren, die Pandemie scheint dort kein Thema mehr. Allerdings zeichnet sich hier eine leichte Verlangsamung des Fahrtempos ab. In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien wird die Pandemie durch die zügig voranschreitenden Impfkampagnen bereits spürbar gedämpft, zumal in beiden Ländern ein relativ großer Teil der Bevölkerung wegen einer überstandenen Infektion Immunität aufgebaut hat. Hier dürfte die Wirtschaft im Lauf des zweiten Quartals in vieler Hinsicht wieder zur Normalität zurückzufinden, erwartet Meier.
Finanzpolitik beflügelt
Den USA helfe dabei die sehr expansiv ausgerichtete Finanzpolitik. Das im März vom Kongress beschlossene Programm der Regierung von US-Präsident Joe Biden enthält für das Jahr 2021 Maßnahmen in Höhe von 6% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), die zu dem noch im vergangenen Jahr beschlossenen Paket von 3% des BIP hinzukommen (vgl. Bericht Seite 6). Das Volumen der finanzpolitischen Stimulierungsmaßnahmen ist damit im laufenden Jahr nochmals deutlich größer als im Vorjahr, betont Meier. Aber auch in den größeren Ländern des Euroraums, in Großbritannien und in Japan stütze die Finanzpolitik die Wirtschaft massiv, wenn auch nicht mehr ganz so stark wie 2020. Hinzu komme, dass die Geldpolitik allerorten weiterhin sehr expansiv wirke. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat immer wieder deutlich gemacht, dass sie eine marktbedingte Straffung der monetären Rahmenbedingungen im gegenwärtigen konjunkturellen Umfeld nicht für opportun erachtet und dagegen vorgehen wird. „Vonseiten der Wirtschaftspolitik sind also die Bedingungen für eine rasche Erholung der Weltwirtschaft gut“, betonte Meier.
Die Binnennachfrage aber stockt. Zumindest aktuell. Denn wegen der Lockdowns haben die Verbraucher hierzulande kaum Möglichkeiten, einzukaufen oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Hoffnung ruht nun auf einem Konsumschub, sobald die Pandemie eingedämmt ist und das Leben sich normalisiert. Die Chancen stehen zwar nicht schlecht, denn dank der finanzpolitischen Stützungsmaßnahmen sind die verfügbaren Einkommen relativ stabil geblieben und die Konsumenten haben finanzielle Polster aufgebaut. Die Sparquote liegt aktuell bei etwa 16%. Allerdings gehen Ökonomen derzeit davon aus, dass der Schub eher im kommenden als im laufenden Jahr ansteht. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute etwa prognostizieren in ihrem Frühjahrsgutachten für 2021 ein Plus der realen privaten Konsumausgaben von 0,2%, im Herbstgutachten waren es noch 4,9%, 2022 sollen es dann 8,5% sein.
Im Gegensatz zu den konsumnahen Dienstleistungen ist die Bauwirtschaft von der Corona-Pandemie relativ unbeschadet. Sowohl Auftragsbestände als auch die Umfragen des Ifo-Instituts deuteten seit dem Jahreswechsel auf eine Belebung der Nachfrage in der Bauwirtschaft hin, „auch wenn diese im ersten Quartal wegen der Wiedererhöhung des Mehrwertsteuersatzes und der dadurch ausgelösten vorgezogenen Anschaffungen noch nicht nennenswert auf die Produktion durchgeschlagen haben“, wie Meier analysiert.
Industrie ist Zugpferd
Die Rolle des Zugpferds der Erholung hat die Industrie inne, auch wenn derzeit Lieferengpässe die Produktion behindern. Spiegelbildlich zu den verlängerten Lieferzeiten hat der Auftragsbestand im April mit einem zuletzt 2011 gesehenen Tempo zugelegt, und die Reichweite ist auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Kapazitätsauslastung der Industrie, so hat die jüngste Ifo-Umfrage ergeben, liegt nun erstmals seit zwei Jahren wieder über dem langjährigen Mittel. Angesichts der Auftragseingänge, die mit Ausnahme des Dezembers seit Mai 2020 zulegen, sind Ökonomen zuversichtlich, dass die Industrieproduktion auch bald wieder Fahrt aufnimmt. Dies stützt auch die Hoffnung, dass die Industrie wieder einen deutlich positiven Wachstumsbeitrag leistet und die Erholung ankurbelt. Im ersten Quartal aber, so die Konsensschätzung der Ökonomen, wird das BIP um gut 1% zum Vorquartal geschrumpft sein. Die Erstschätzung veröffentlicht das Statistische Bundesamt am heutigen Freitag.