PERSONEN

Der Sozialist, der gerne belgischer Premier wäre

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 25.10.2016 Eigentlich taugt Paul Magnette so gar nicht als Vorzeigeantieuropäer. Der wallonische Ministerpräsident, der im Ringen um das Freihandelsabkommen Ceta unnachgiebig geblieben ist und damit in...

Der Sozialist, der gerne belgischer Premier wäre

Von Andreas Heitker, BrüsselEigentlich taugt Paul Magnette so gar nicht als Vorzeigeantieuropäer. Der wallonische Ministerpräsident, der im Ringen um das Freihandelsabkommen Ceta unnachgiebig geblieben ist und damit in den Medien bereits den Stempel einer “linken Kultfigur” und “Ikone des europäischen Ceta-Widerstands” erhalten hat, ist Hochschullehrer für EU-Verfassungsrecht. In Brüssel hat der 45-Jährige mit dem Dreitagebart an der Universität ein Institut für Europawissenschaften geleitet. Seine Promotion beschäftigte sich mit der Bürgerschaft in der EU.Aber Magnette ist nicht nur ein eloquenter, sondern auch ein taktisch gewiefter Politiker, der die Chancen nur zu gut erkannt hat, die ihm der Widerstand gegen Ceta bietet: die Chance, einen Angriff auf den belgischen Premier Charles Michel starten zu können, eine Antwort auf den Globalisierungsfrust in der Wallonie geben zu können und natürlich auch die Chance auf eine persönliche Profilierung. Die französischsprachige Region im Süden Belgiens ist vom geplanten Handelsabkommen Ceta eigentlich kaum betroffen. Etwa 90 % des belgischen Handels mit Kanada, so heißt es, werden im reicheren Flandern verbucht. Viel bleibt da nicht übrig für eine Region, die wie einst das Ruhrgebiet mit Kohle und Stahl groß geworden ist, aber wie ihr nordrhein-westfälisches Pendant den Strukturwandel nie so richtig bewältigt hat. Magnettes Ceta-TaktikIn der letzten Zeit haben Entlassungswellen für neuen Frust unter den 3,6 Millionen Bewohnern der Wallonie gesorgt. So hat allein der Maschinenbauer Caterpillar angekündigt, sein Werk in Charleroi zu schließen, in der Industriestadt, in der Paul Magnette seit 2012 auch Bürgermeister ist. 2 000 Arbeitsplätze gehen hier verloren. Aber auch bei den Finanzdienstleistern der Wallonie werden immer mehr Jobs gestrichen.Der Politikwissenschaftler Magnette, der zwischen 2007 und 2013 verschiedene Ministerposten in der belgischen Regierung bekleidet hat, war für seine Parti Socialiste (PS) 2014 in das wallonische Parlament in Namur eingezogen und dort zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Seither kämpft er dort ebenso wie sein Parteichef, der frühere Ministerpräsident von Belgien, Elio di Rupo, auch gegen die aktuelle belgische Regierung von Charles Michel (40). Beide machen sich ganz offensichtlich Hoffnung, den Premier einmal beerben zu können. Mit Hilfe von Ceta gelang es ihnen, dass Michel auf dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche als hilflos und international blamiert dastand. Als einzigem der 28 Regierungschefs war es dem liberalen Belgier nicht gelungen, seine landesinternen Ceta-Probleme zu lösen. Dass Magnette und di Rupo für diesen Sieg die übrigen 500 Millionen Europäer in Geiselhaft nehmen mussten, spielte in diesem Moment keine große Rolle. Premier Michel in NötenDie Mitte-rechts-Koalition von Charles Michel, die seit mittlerweile zwei Jahren im Amt ist, erlebt aktuell ihre bislang schwierigste Zeit. Wochenlange Auseinandersetzungen um den künftigen Haushalt und die Sparpolitik hatten auch innerhalb der Koalition für Spannungen gesorgt. Und jetzt kommt das Ceta-Debakel noch hinzu. Die Parti Socialiste hatte lange Jahre immer der Regierungskoalition in Belgien angehört. Dass dies seit 2014 nicht mehr der Fall ist, dürfte eine der Ursachen dafür sein, dass die EU und Kanada ihr Freihandelsabkommen vorerst nicht unterzeichnen können.