IM BLICKFELD

Der US-Arbeitsmarkt befindet sich im freien Fall

Von Peter De Thier, Washington Börsen-Zeitung, 22.4.2020 Der US-Arbeitsmarkt befindet sich als Folge der Coronavirus-Pandemie im freien Fall. Allein in den vergangenen vier Wochen wurden 22 Millionen Stellen abgebaut. Das entspricht fast genau der...

Der US-Arbeitsmarkt befindet sich im freien Fall

Von Peter De Thier, WashingtonDer US-Arbeitsmarkt befindet sich als Folge der Coronavirus-Pandemie im freien Fall. Allein in den vergangenen vier Wochen wurden 22 Millionen Stellen abgebaut. Das entspricht fast genau der Zahl neuer Arbeitsplätze, die in dem elf Jahre andauernden Aufschwung nach der globalen Finanzkrise geschaffen worden waren. Experten malen angesichts der flächendeckenden Stilllegungen von Firmen sowie Entlassungen in jeder denkbaren Branche ein düsteres Szenario. Demnach wird der tiefe Einbruch am Arbeitsmarkt einen Schneeballeffekt entfalten und die Massenarbeitslosigkeit wird im zweiten Quartal wie eine Lawine die weltgrößte Volkswirtschaft überrollen.Angesichts der verheerenden Zahlen könnten die Arbeitslosenzahlen schon bald Werte aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise 2008/09 erreichen oder diese noch übersteigen. Damals erreichte die Erwerbslosenquote in den USA in der Spitze 24,9 %. Die Investmentbank Goldman Sachs hatte fürs zweite Quartal zunächst eine annualisierte Erwerbslosenquote von 9 % vorausgesagt, die Zahl nun aber auf 15 % hochgeschraubt. Volkswirte der Bank of America beziffern die zu erwartende Quote mit 15,6 %. Ganz andere Dimensionen nehmen Analysen der Federal Reserve Bank von St. Louis an. Nach deren Darstellung ist von April bis Juni mit 47 Millionen Stellenverlusten zu rechnen. Die Arbeitslosenquote würde dann aufs Jahr hochgerechnet 32,1 % erreichen.Einen ersten Aufschluss dürfte der offizielle Arbeitsmarktbericht für April geben, den das Arbeitsministerium am 8. Mai veröffentlichen wird. Der Märzbericht beruhte noch auf Erhebungen während der zweiten Märzwoche, und erst danach schlug die Pandemie in den USA mit voller Wucht auf die Wirtschaft durch. Demnach kletterte die Arbeitslosenquote vergangenen Monat um vergleichsweise geringe 0,9 Prozentpunkte auf 4,4 %. 701 000 Jobs fielen weg. Trump versus GouverneureZwischenzeitlich setzt sich das Tauziehen zwischen US-Präsident Donald Trump und den Gouverneuren einzelner US-Staaten mit unverminderter Schärfe fort. Trump dringt ohne erkennbare Rücksicht auf die möglichen gesundheitlichen Folgen samt einer beschleunigten Ausbreitung der Pandemie auf eine rasche Normalisierung der Wirtschaftsaktivität. Die Regierungschefs der Bundesstaaten mahnen hingegen zu Geduld und Vorsicht. Sie befürchten, dass ein überhastetes Vorgehen nicht nur eine zweite Welle von Erkrankungen lostreten könnte, sondern diese zudem die Wirtschaft in eine noch tiefere Rezession stürzen würden.Trumps Argumentation ist in gewisser Hinsicht nachvollziehbar. Würde die Wirtschaft weiterhin brachliegen, dann würde dies für Millionen Amerikaner den finanziellen Ruin bedeuten und eine Depression womöglich mehr Existenzen kosten als die Zahl der Todesopfer, welche die Pandemie fordert. Gleichwohl sind seine Ignoranz sowie die Art und Weise, mit der Trump den Rat seiner eigenen Gesundheitsexperten zurückweist, weil es ihm ausschließlich um die eigene Wiederwahl im November geht, verwerflich.Seine Twitter-Aufrufe zur “Befreiung” wahltaktisch wichtiger Staaten mit einem hohen Anteil an Wechselwählern, etwa Michigan, Virginia und Minnesota, haben in zahlreichen Städten zu Massendemonstrationen gegen die Gouverneure geführt. Erneut versucht der Präsident, die Nation zu spalten, anstatt sie im Angesicht einer globalen Pandemie zu vereinen.Dabei kommt das klägliche Krisenmanagement des Präsidenten nicht nur in dessen politisch motiviertem Egoismus zum Ausdruck. Auch beweist die Umsetzung jener Hilfsmaßnahmen, die als zentraler Bestandteil des Mitte März verabschiedeten Konjunkturpakets die Wirtschaft vor einem Absturz bewahren sollten, das Unvermögen und die Korruption dieser Regierung. So hatte sich Trump ungeachtet der Vorschriften des Konjunkturgesetzes gegen die Ernennung eines Generalinspektors gestemmt, der als unabhängige Aufsichtsinstanz die Vergabe von mehreren hundert Milliarden Dollar an Unternehmenskrediten beaufsichtigen sollte. Die Verteilung der Gelder wolle er selbst bestimmen, sagte der Präsident. Missbräuche bei Krediten Nun wird klar, warum jene 349 Mrd. Dollar, die Klein- und Mittelbetriebe über Wasser halten und dort Arbeitsplätze schützen sollten, binnen weniger Wochen komplett aufgebraucht sind: Milliarden sind an große Unternehmen geflossen, die mehr als das Zehnfache jener 500 Mitarbeiter beschäftigten, die der Gesetzgeber als Obergrenze für Darlehen festgesetzt hatte. Folglich gingen viele kleine Firmen, die 48 % der 156 Millionen berufstätigen Amerikaner beschäftigen, leer aus und werden ohne ein neues Gesetz weitere Mitarbeiter entlassen müssen.Durch den daraus resultierenden Einbruch beim Privatkonsum, der mehr als zwei Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung ausmacht, könnte sich die Krise deutlich verschärfen. Einige Ökonomen sagen für das zweite Quartal einen annualisierten Wachstumseinbruch von über 30 % voraus. Zwar sollte schon am Dienstagabend ein neues Paket an Stimulusmaßnahmen beschlossen werden. Gedient wird der Wirtschaft damit aber nur dann sein, wenn das Geld zielgerichtet jenen Empfängern zugute kommt, die Arbeitsplätze geschaffen haben und staatliche Hilfe brauchen, um ihre Mitarbeiter an Bord halten zu können.