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Der Wahnsinn hat Methode in Griechenland

Börsen-Zeitung, 18.7.2015 Albert Einstein würde den Gläubigern Griechenlands Wahnsinn attestieren. Denn sie tun immer wieder das Gleiche und erwarten andere Ergebnisse. So auch jetzt wieder, wenn sie den seit 2010 aus zwei Rettungspaketen...

Der Wahnsinn hat Methode in Griechenland

Albert Einstein würde den Gläubigern Griechenlands Wahnsinn attestieren. Denn sie tun immer wieder das Gleiche und erwarten andere Ergebnisse. So auch jetzt wieder, wenn sie den seit 2010 aus zwei Rettungspaketen geflossenen 216 Mrd. Euro weitere 86 Mrd. hinterherwerfen. Da aber die Ausgestaltung des Hilfs- und Kreditprogramms noch verhandelt werden muss, besteht die Hoffnung, dass dem Wahnsinn insofern ein Ende bereitet wird, als man Strukturreformen und Investitionen für Wachstum in den Mittelpunkt stellt. Denn nur dann werden weitere Kredite dem Land wirklich helfen.In der Vergangenheit – und in diesem Punkt ist die Kritik der Griechen an den “Institutionen” berechtigt – wurde von den Troika-Emissären vor allem auf die Umsetzung der finanziellen Auflagen gepocht und zu wenig auf die viel wichtigeren strukturellen Reformen in dem Land. Von der Steuerverwaltung über die Katasterämter bis hin zu den Arbeitsämtern fehlt es in Griechenland immer noch an grundlegenden und effizienten Strukturen. Ohne solche Strukturen werden auch die neuen Rettungsmilliarden verpuffen.Griechenland muss in die Lage versetzt werden, aus eigener Kraft Wachstum zu generieren und im Haushalt einen Primärüberschuss zu erzielen. Bis Ende 2014 war das Land schon gut vorangekommen. Doch die kommunistischen Ideologen der Syriza-Regierung wollten die Systemänderung. Mit ihrer Blockadehaltung haben sie seit einem halben Jahr alle mühsam erzielten Fortschritte zunichtegemacht und ihr Land in eine tiefe wirtschaftliche Krise gestürzt. Anstatt des zu Jahresanfang noch für möglich gehaltenen Wirtschaftswachstums von 0,5 bis 1 % wird Ende 2015 ein Minus stehen. Das Haushaltsdefizit – von 12,3 % Neuverschuldung im Jahr 2013 auf 3,5 % im Jahr 2014 zurückgeführt – hätte 2015 auf 2,1 % und damit unter die Maastricht-Marke gesenkt werden sollen. Hätte – denn nun sind alle Planungen Makulatur. Benchmark PortugalWer wissen will, was sich in Griechenland ändern muss, sollte einige Kennziffern der in Wirtschaftsleistung und Bevölkerungszahl vergleichbaren EU-“Programmländer” Portugal und Griechenland studieren. Das produzierende Gewerbe trägt in Portugal 21 % (2013) zur Wertschöpfung bei, in Griechenland nur 14 %. Bei den Arbeitskosten im verarbeitenden Gewerbe übertraf Griechenland 2012 das portugiesische Niveau noch um 56 %. Inzwischen sind die Löhne in Hellas zwar gesunken, aktuelle verlässliche Daten dazu liegen aber nicht vor. Korrekte Statistiken sind immer noch ein großes Problem dieses Balkanlandes. Die Warenexporte von Portugal lagen 2014 mit 64 Mrd. Dollar beinahe doppelt so hoch wie jene von Griechenland mit 36 Mrd. Dollar. Umgekehrt hatten die Griechen eine doppelt so hohe Erwerbslosenquote wie Portugal.Vor diesem Hintergrund sind die Reformforderungen der Geldgeber an Griechenland viel zu schwach. Das Land kann nicht weitere fünf, acht oder zehn Jahre warten, bis Reformen greifen und beispielsweise das Renteneintrittsalter bis 2023 auf 67 Jahre erhöht sein wird. Wenn die 86 Mrd. Euro neue Hilfskredite kein abermals rausgeschmissenes Geld sein sollen, muss die griechische Wirtschaft umgehend auf Wettbewerbsfähigkeit getrimmt werden. Das Land muss mit Klientelwirtschaft und Korruption brechen, den Staatssektor weiter stutzen und Privatisierungen vorantreiben – aus fiskalischen Gründen und aus Effizienzgründen.Schon jetzt, also ohne das neue Hilfs- und Kreditprogramm, beträgt Griechenlands Schuldenberg 180 % des Bruttoinlandsprodukts. Es braucht nicht die Expertise des Internationalen Währungsfonds, um angesichts dieser Relation und der schwachen wirtschaftlichen Basis des Landes zu dem Schluss zu kommen, dass Griechenland damit überfordert ist. Selbst wenn es bald wieder gelänge, im Haushalt einen kleinen Primärüberschuss zu erwirtschaften, würde die zunächst gestundete Zins- und Tilgungslast Hellas nach Jahren der Anstrengung zurückwerfen wie einst Sisiphos. Man wird von den Griechen nicht erwarten können, dass sie gleichwohl immer wieder einen neuen Anlauf unternehmen, um am Ende doch zu scheitern. Umschuldung nötigOhne Umschuldung wird Griechenland niemals mehr auf einen grünen Zweig kommen. Das wissen alle. Gesucht wird aber noch nach einer hübschen Verpackung mit einem kaschierenden Namen, damit der Schuldenschnitt nicht wie ein Schuldenschnitt aussieht. Denn die Verträge zur Währungsunion verbieten einen Schuldenschnitt, nicht aber eine Schuldenrestrukturierung. Faktisch ist beides das Gleiche. Wenn die europäischen und deutschen Politiker ehrlich wären oder mehr von Ökonomie verstünden, würden sie Griechenland den Austritt aus der Eurozone empfehlen, verbunden mit einem großzügigen Schuldenschnitt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte wenigstens den Mut, das Thema anzusprechen.Egal, ob Mitglied der Eurozone oder nicht: Griechenland braucht Wachstum, und zwar durch Investitionen im privaten Sektor. Die bisherigen Hilfsmilliarden flossen vor allem in die Finanzierung des immer noch personell aufgeblähten und ineffizienten öffentlichen Sektors und in die Alimentierung des zu teuren Rentensystems. Wenn jetzt Griechenland unter dem Druck der Gläubiger die Gewinnbesteuerung der Unternehmen erhöhen will, um das Finanzierungsloch für den öffentlichen Sektor zu stopfen, ist das völlig kontraproduktiv. Mit dieser Politik wurden schon von 2010 bis 2013 etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft Griechenlands vernichtet – bei insgesamt nur 5 Millionen Erwerbspersonen. All dies geschah unter der Regie sozialistischer und christdemokratischer griechischer Regierungen und “Beihilfe” sozialistischer und christdemokratischer Politiker und Berater in der Troika und den Geldgeberländern. Nun sind die Syriza-Regierung und die “Institutionen” auf dem besten Weg, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Der Wahnsinn hat Methode.- c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus DöringGriechenland braucht dringend Wachstum, und zwar durch Investitionen im privaten Sektor.——-