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Der Weg der Fed: Entschuldung durch Enteignung

Börsen-Zeitung, 29.8.2020 Der strategische Schwenk der amerikanischen Notenbank Federal Reserve gleicht einer Kapitulation. Nach Jahrzehnten des Inflation Targeting, also der Verfolgung eines expliziten Inflationszieles in der Geldpolitik, soll das...

Der Weg der Fed: Entschuldung durch Enteignung

Der strategische Schwenk der amerikanischen Notenbank Federal Reserve gleicht einer Kapitulation. Nach Jahrzehnten des Inflation Targeting, also der Verfolgung eines expliziten Inflationszieles in der Geldpolitik, soll das Inflationsziel von zuletzt 2 % als Ausdruck stabilen Geldwertes nur noch im Durchschnitt vieler Jahre gelten und im Übrigen das zweite Ziel der Fed, eine möglichst hohe Beschäftigung, stärker in den Fokus rücken. Natürlich ist es richtig, Strategien immer wieder zu überprüfen, zumal wenn die damit verfolgten Ziele dauerhaft verfehlt werden, wie beim Inflationsziel seit Jahren der Fall.Der Strategiewechsel ist das Eingeständnis, durch das viel zu lange Festhalten an der ultraexpansiven Geldpolitik nach der Finanzkrise vor 12 Jahren die eigene Handlungsfähigkeit so geschwächt zu haben, dass man auf externe Schocks, wie sie die Covid-19-Pandemie zweifelsohne darstellt, nicht mehr angemessen geldpolitisch reagieren kann. Da Fed-Chef Jerome Powell – die schlechten Erfahrungen in Europa vor Augen – sich aus gutem Grund bisher weigert, den Leitzins nominal negativ werden zu lassen, will er den Teufelskreis aus sinkender Inflation und sinkenden Inflationserwartungen durchbrechen, indem er das Inflationsziel flexibilisiert.Was auf den ersten Blick vielleicht als angemessene Reaktion auf den Corona-Schock aussehen mag und sich überdies als smarte Geldpolitik der neuen Normalität vermarkten lässt, ist in Wirklichkeit das Eingeständnis, sich in eine geldpolitische Sackgasse manövriert und die Handlungsfähigkeit verloren zu haben. Jetzt rächt sich, dass die Notenbanken rund um den Globus, nicht nur die US-Fed, allzu willfährig mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik den Regierungen zu Hilfe geeilt sind und faktisch Fiskalpolitik betrieben haben. Das Ergebnis ist erschreckend und jetzt der Grund für die verfahrene Situation: Die Notenbanken haben eine Verschuldungsorgie finanziert, deren Nutzen rapide abnimmt – Ökonomen vermuten bereits einen negativen Multiplikatoreffekt für das Wirtschaftswachstum – und deren Grenzen an den sprunghaft gestiegenen Bilanzsummen der Notenbanken abzulesen ist. Nach Schätzungen der Bank of America wird sich die Bilanzsumme der Fed Ende 2020 binnen Jahresfrist auf 38 % des US-BIP verdoppelt haben. Bei der Bank of England hat sich diese Quote ebenfalls verdoppelt auf dann 50 %, bei der EZB wird sie 64 nach 39 % erreichen und bei der Bank of Japan sagenhafte 134 % des BIP. Gewaltige AssetpreisblaseHinter diesen Zahlen steckt die Flutung der Märkte in der irrigen Annahme, dass noch mehr auch mehr hilft. Doch was passiert wirklich? Die Überschussliquidität befeuert eine Asset-Preisblase bisher unbekannten Ausmaßes, die sich zwar kaum in den Verbraucherpreisen und damit Inflationsdaten niederschlägt, aber an den Rekordständen der Aktienmarktindizes ebenso abzulesen ist wie an den Immobilienpreisen und den Unternehmenspreisen im M&A-Markt. Welcher Irrsinn, dass in der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte die Aktienmärkte Rekordhöhen feiern!Auch die zuletzt gestiegene Kreditvergabe der Banken schlägt sich nicht in höheren Sachanlageinvestitionen der Unternehmen nieder, sondern vor allem in Aktienrückkäufen und Ersatz von “teurem” Eigenkapital durch billigeres Fremdkapital. Da mögen die Ratingagenturen angesichts der steigenden Unternehmensverschuldung noch so besorgt den Finger heben: So lange selbst Risikopapiere reißenden Absatz finden zu historisch niedrigen Renditen, wird dieses Spiel weitergehen, bis die Blase platzt.Als Folge der historisch hohen Verschuldung der Staaten, der Unternehmen wie auch der privaten Haushalte wird der Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik immer schwerer. Nicht technisch, sondern politisch. Im Wissen um die faktische Unmöglichkeit eines Exits aus dieser Geldpolitik verkauft nun Fed-Chef Powell die Not als Tugend und erklärt die Nullzinsen zum Dauerzustand auf Jahre hinaus, selbst wenn die Inflation 2 % und mehr betragen sollte. Im Kern räumt er damit ein, dass der Ausweg aus der riesigen Staatsverschuldung nur über den langen Weg der kalten Enteignung durch Inflation führen wird. Das freut die Regierungen rund um den Globus. Negative Realzinsen sind bei ihnen wohlgelitten, lässt sich doch weitere Schuldenaufnahme damit rechtfertigen, dass sie sich “rechnet”. Und da negative Realzinsen beim Wahlvolk zumindest bisher selten Widerstand auslösen, erscheint dieser Weg politisch opportun.Bislang jedenfalls. Doch die Null- und Negativzinspolitik bedeutet über Jahre hinweg gewaltige Umverteilungseffekte zugunsten der Besitzer von Realvermögen (Aktien, Immobilien, Gold) und zulasten der Besitzer von Geldvermögen, insbesondere der kleinen Sparer. “Auch eine nur leicht inflationäre Entwicklung ist so etwas wie eine entschädigungslose Enteignung zugunsten der öffentlichen Hand”, hat schon Ludwig Erhard erkannt. Deshalb besteht die größte Gefahr dieser Politik nicht im Platzen der Blase – das trifft meist nicht die Ärmsten -, sondern in der politischen Radikalisierung der enteigneten Geldvermögensbesitzer. Weitere PolitisierungWird die Fed handlungsfähig sein, wenn die Inflation sich deutlich beschleunigt? Wie viel Prozent oberhalb der Marke von 2 % wäre Powell denn zu akzeptieren bereit? Wäre die US-Zentralbank überhaupt noch handlungsfähig, zumal bis dahin ja die Verschuldung noch weiter gestiegen sein dürfte?Der große Vorteil des festen Inflationsziels war neben der Berechenbarkeit der Geldpolitik ja, dass man damit Versuchen politischer Einflussnahme entgegentreten konnte. Ein erklärtermaßen flexibles Inflationsziel und – in den USA – die Übergewichtung des Beschäftigungsziels öffnet der weiteren Politisierung der US-Notenbank Tür und Tor. Wenn nicht die verqueren geldpolitischen Argumente, dann hoffentlich das Risiko der Politisierung sollte die EZB davon abhalten, dem Strategieschwenk der Fed zu folgen. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Von Claus DöringDie US-Notenbank hat sich in eine geldpolitische Sackgasse manövriert. Fed-Chef Powell verkauft seine Handlungsunfähigkeit als neue Strategie. ——