Deutsche Industrie bleibt verspannt

Dritter Zuwachs in Folge - Auftragsplus von 2,8 Prozent enttäuscht aber - Binnennachfrage sinkt

Deutsche Industrie bleibt verspannt

ast Frankfurt – Die deutsche Industrie hat auch im Juli wieder zugelegt. Allerdings war das Auftragsplus mit 2,8 % nur gut halb so stark, als Ökonomen erwartet hatten. Diese hatten mit durchschnittlich 5,0 % Plus gerechnet. Sie bewerten die aktuelle Entwicklung aber immer noch überwiegend positiv, da es sich um den dritten Anstieg in Folge handelt und das Auftragsgeschäft ansonsten als recht volatil gilt. Im Juni und Mai war das verarbeitende Gewerbe – ausgehend von dem nach dem Coronaeinbruch niedrigen Niveau – noch zweistellig gewachsen (siehe Grafik). Ohne die Berücksichtigung der schwankungsanfälligen Großaufträge lag der reale Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe im Juli saison- und kalenderbereinigt um 6,2 % höher als im Juni.Wie das Bundeswirtschaftsministerium am Freitag mitteilte, dürfte das geringere Auftragsplus an einer schwächelnden Binnennachfrage gelegen haben. So gingen die Aufträge aus dem Inland um 10,2 % zurück. Die Auslandsaufträge legten hingegen kräftig zu um 14,4 %. Der Aufholprozess dürfte sich auch in den kommenden Monaten fortsetzen, erwartet das Ministerium und führt die sinkende Zahl der Kurzarbeiter und verbesserte Geschäftserwartungen der Unternehmen als Gründe für seinen Optimismus an.Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) kommentierte das Auftragsplus mit mehr Skepsis. “Der Rückgang der Bestellungen aus dem Inland zeigt, dass die Hoffnungen auf eine schnelle Erholung verfrüht sind”, erklärte Melanie Vogelbach vom DIHK. “Zahlreiche Unternehmen hierzulande könnten die negativen Folgen der Pandemie noch zu spüren bekommen.” Eine verminderte Nachfrage, fehlende Investitionen und nach wie vor gestörte Lieferketten bremsten die Erholung spürbar.Noch immer liegt der Auftragseingang 8,2 % unter dem Vorkrisenniveau vom Februar. Ökonomen rufen allerdings auch in Erinnerung, dass sich die Stimmung im verarbeitenden Gewerbe vor der Coronakrise eingetrübt hatte und die deutsche Wirtschaft gegen Ende des vergangenen Jahres schon an Schwung verloren hatte. “Bereits vor Ausbruch der Pandemie war das Wehklagen im produzierenden Gewerbe unüberhörbar”, so Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Erholung verlangsamt sichPositive Signale sendet die größte Branche des verarbeitenden Gewerbes, die Automobilindustrie. Hier legte der Auftragseingang im Vergleich zum Vormonat um 8,5 % zu – womit er nur noch 2,4 % unter dem Wert von Februar liegt. Allerdings war die Autobranche schon vor den Corona-Beschränkungen ihre Rolle als Zugpferd der Industrie los. “Der Strukturwandel in der Automobilbranche belastet. Die Maschinen- und Anlagenbauer können ein Lied davon singen”, so Gitzel.Insgesamt betrachtet ist der dritte Auftragszuwachs in Folge positiv zu werten, ist die Industrie in Deutschland nach Wirtschaftssektoren geordnet doch der drittgrößte Arbeitgeber. Mit mehr Aufträgen steigt auch die Beschäftigung. Das dürfte sich positiv auf die Zahl der Kurzarbeiter auswirken. Tatsächlich hatte sich nach Berechnungen des Ifo-Instituts die Zahl der Kurzarbeiter im August um 1 Million auf 4,6 Millionen verringert (siehe BZ vom 4. September). Mehr Beschäftigung wiederum kurbelt den privaten Konsum an. “Es ist eine reine Labsal, wenn sich die Auftragsbücher füllen”, fasst Gitzel zusammen.Die Gesamtsituation bleibt allerdings schwierig. Denn zwar füllen sich die Auftragsbücher langsam wieder, der Auftragsbestand ist jedoch nach wie vor sehr gering. Seit dem vergangenen Jahr nimmt er kontinuierlich ab. So erwarten Ökonomen für die kommenden Monate ebenfalls nur bedingt positive Zahlen. “Die leicht erreichbaren Früchte sind geerntet, jetzt wird die konjunkturelle Aufholjagd an Dynamik einbüßen”, sagte Jens-Oliver Niklasch, Volkswirt bei der Landesbank Baden-Württemberg: “Die Vorkrisenniveaus werden wir nicht ganz so schnell sehen, wie es der eine oder andere zuletzt schon gehofft hatte.”