Deutsche Industrie trumpft auf

Auftragseingang legt um 27,9 Prozent zu - 88,7 Prozent des Vorkrisenniveaus erreicht

Deutsche Industrie trumpft auf

Annähernd dreimal so viele Aufträge wie erwartet hat die deutsche Industrie im Juni eingesammelt. Allerdings fehlt immer noch ein gutes Stück, bis das Vorkrisenniveau erreicht ist. Wie gut der Aufholprozess gelingt, hängt stark vom Infektionsgeschehen ab – insbesondere von dem im Ausland.ba Frankfurt – Die deutsche Industrie sendet zum Ende des zweiten Quartals ein überraschend kräftiges Lebenszeichen: Dank eines kräftigen Nachfrageschubs aus dem Inland sind die Auftragseingänge im Juni erheblich stärker gestiegen als prognostiziert. Der coronabedingte Einbruch ist damit zu einem großen Teil wettgemacht. Die ebenfalls höheren Umsatzzahlen deuten darauf hin, dass auch die Produktion, über die das Statistische Bundesamt (Destatis) am heutigen Freitag berichtet, einen Sprung gemacht hat.Allerdings zeigt die nur leicht gesunkene Zahl der Kurzarbeiter in der Industrie, dass die Erholung langwierig sein wird. Auch Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), äußerte sich im dpa-Interview skeptisch: Einen Aufschwung im Herbst, wie ihn Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und die meisten Ökonomen erwarten, sehe er nicht (siehe Berichte auf dieser Seite). Erwartungen übertroffenLaut den vorläufigen Destatis-Angaben generierte die deutsche Industrie im Juni kalender- und saisonbereinigt 27,9 % mehr Bestellungen als im Vormonat. Ökonomen hatten mit + 10,1 % einen deutlich geringeren Zuwachs vorausgesagt. Die Erholung komme damit “einen großen Schritt voran”, nachdem die Orderzahlen im Mai um 10,4 % zugelegt hatten, kommentierte das Bundeswirtschaftsministerium die Daten. Im April und März waren die Neubestellungen wegen des flächendeckenden Lockdowns um 26,1 % bzw. 15,0 % eingebrochen. Großaufträge sorgten im Juni ebenfalls für Schub: Ohne diese volatile Größe gingen 23,8 % mehr Bestellungen ein als im Vormonat.Ein Gutteil des Einbruchs ist damit wettgemacht: Verglichen mit dem vierten Quartal 2019 haben die Orderzahlen bereits wieder ein Niveau von 90,7 % erreicht, meldet das Wirtschaftsministerium. Den Wiesbadener Statistikern zufolge, die als Referenz den Februar heranziehen, sind es 88,7 %. Februar war der letzte Monat vor Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, bevor das öffentliche Leben über Wochen weitgehend stillgelegt wurde. Auch der Jahresvergleich zeigt, dass die Auftragseingänge noch ein Stück zurückliegen. Laut Destatis gingen die Bestellungen gegenüber Juni 2019 um 11,3 % zurück. Ökonomen hatten ein noch größeres Minus von 18,5 % erwartet. Alle Branchen kommen voranBesonders kräftig fiel die Aufholjagd in Deutschlands Schlüsselindustrie, dem Automobilbau, aus – trotz des Sprungs um 66,5 % im Monatsvergleich liegt der Auftragseingang den Statistikern zufolge hier immer noch 12,2 % unter dem von Februar. Im April lag die Relation zum Vorkrisenniveau allerdings noch bei – 37 %, wie Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen errechnete. Mit Ausnahme des Pharmasektors, der allerdings bisher von der Pandemie kaum betroffen war, haben auch in allen anderen Branchen die Aufträge zumeist kräftig zugelegt, wie die Aufstellung der Commerzbank zeigt (siehe Grafik). Die am Mittwoch veröffentlichten Zahlen des Branchenverbands VDA zur Autoproduktion im Juli ließen für diesen Monat ein merkliches Produktionsplus erwarten, ebenso die Umsatzzahlen. Der reale Umsatz im verarbeitenden Gewerbe hat im Juni saison- und kalenderbereinigt 12,5 % zum Vormonat zugelegt, was einen Produktionszuwachs in dieser Höhe erwarten lässt. Im Mai hatte der Umsatz um revidiert 9,7 (zuvor: 10,6) % zugelegt. Auch hier fehlt noch ein Stück zum Vorkrisenniveau: Im Vergleich zu Februar liegt der Umsatz im Juni um 14,7 % zurück.Sorgen bereitet nach wie vor die regionale Verteilung der Auftragseingänge. Dass die Aufträge aus dem Ausland (+ 22,0 %) der Entwicklung im Inland (+ 35,3 %) hinterherhinken, zeige auf, “warum der weitere Erholungsprozess langsamer voranschreiten wird”, mahnt das Wirtschaftsministerium. Dass die Inlandsaufträge das Vorjahresniveau nun wieder übertroffen haben, ist für DWS-Europa-Chefvolkswirt Martin Moryson “ein deutliches Indiz dafür, dass Deutschland die Krise ziemlich gut gemeistert hat”. Das eigentliche Dilemma zeige sich bei den außereuropäischen Aufträgen, die “immerhin mehr als ein Viertel unter denen des Vorjahresmonats liegen”. Aus dem Euroraum gingen 22,3 % mehr Bestellungen ein, von außerhalb der Eurozone 21,7 %.Ein ähnliches Bild zeigt sich in der vom Wirtschaftsministerium aufgestellten Quartalsbetrachtung – mit einem Rückgang von 13,9 % stellte sich die Nachfrage aus dem Inland merklich robuster dar als die aus dem Euroraum (- 26,2 %) und aus dem Nicht-Euroraum (- 30,7 %). Im zweiten Quartal insgesamt sanken die Bestellzahlen wegen des Lockdowns um 22,9 %.