Deutschland verliert Pole-Position
Die Wachstumskraft der deutschen Wirtschaft lässt nach. Das signalisieren Prognosen, die bis ins Jahr 2017 reichen. Die anderen Euro-Länder dagegen wachsen deutlich stärker. Das dürfte vor allem für Italien, Spanien, die Niederlande und Österreich gelten, wo die aktuelle Einkaufsmanagerumfrage einen neuen Optimismus zutage gefördert hat. In Frankreich dagegen geht die dramatische Talfahrt weiter.lz Frankfurt – Die deutsche Wirtschaft, die viele Jahre als Wachstumsmotor der Eurozone fungierte, scheint an Zugkraft zu verlieren. Das zumindest legen die Prognosen von Banken, Wirtschaftswissenschaftlern an den Hochschulen und Institutionen nach, die das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim monatlich für die Börsen-Zeitung in einem Medianwert zusammenführt und analysiert. Danach sind die Prognosen für das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das laufende und nächste Jahr von 1,6 % auf 1,5 % zurückgenommen worden. Das scheint zunächst zwar “keiner Erwähnung” wert, wie ZEW-Forscher Michael Schröder darlegt, allerdings verändern sich dadurch die Wachstumsgewichte in der Eurozone insgesamt.Für 2016 scheint die Welt noch einigermaßen in Ordnung zu sein. Das für Deutschland prognostizierte Wachstum liegt mit 1,5 % um 0,13 Prozentpunkte höher als das für die anderen Euro-Mitglieder zusammengenommen. Für 2017 indes haben nun aber zum ersten Mal seit langer Zeit die anderen Euro-Staaten die Nase vorn: Während das deutsche Wachstum bei 1,5 % bleiben soll, wird für die anderen Euro-Mitglieder eine Beschleunigung auf etwa 1,63 % prognostiziert.Deutlich stärker fallen diese Wachstumsunterschiede auf, wenn man die Werte für die Industrieproduktion betrachtet. Hier fällt die Entwicklung in Deutschland laut den Prognosen um 1 Prozentpunkt (2016) bzw. 0,6 Prozentpunkte (2017) hinter diejenigen der anderen Mitglieder des Eurogebiets zurück. Deutschland wird damit nicht mehr länger als die starke treibende Kraft hinter dem Wachstum im Eurogebiet gesehen.Bei den Zinsen und der Zinsdifferenz bleibt nach wie vor die Einschätzung bestehen, dass sich die jetzige Geldpolitik der EZB auch 2017 fortsetzen wird und die kurzfristigen Zinsen unverändert im negativen Bereich liegen sollen.In der aktuellen Einkaufsmanagerbefragung zeigt sich der Lastwechsel bereits ansatzweise. Die Geschäfte der Industrie in der Eurozone und ihrer größten Volkswirtschaft Deutschland haben sich im April leicht belebt. Der Purchasing Manager Index (PMI) kletterte für die Eurozone um 0,1 auf 51,7 Punkte, wie das Markit-Institut mitteilte, die Wirtschaft der Eurozone wächst also, weil sich die Werte über der 50er Schwelle befinden. Frankreich Sorgenkind Nr. 1Aber mit Italien, Spanien, den Niederlanden und Österreich wachsen schon vier Euro-Volkswirtschaften stärker als Deutschland, dessen Industriesektor allerdings nach einer Delle nun ebenfalls wieder in Schwung gekommen ist. In Italien stabilisiert sich die Industrie weiter, und in Spanien gibt es Anzeichen für ein Ende der Deflation.Sorgenkind Nummer 1 bleibt indes Frankreich. Ein Indexstand von 48 Zählern signalisiert den stärksten Einbruch seit einem Jahr. Mit den Exportaufträgen ging es sogar so kräftig nach unten wie seit drei Jahren nicht mehr. “Dies ist das einzige Land, wo es mit der Industriebeschäftigung abwärtsging”, so Markit-Ökonom Chris Williamson.Das Bruttoinlandsprodukt der Eurozone hatte von Januar bis März um 0,6 Prozent zum Vorquartal zugelegt. Das war der kräftigste Zuwachs seit einem Jahr und das zwölfte Quartalswachstum in Folge. “In den kommenden Monaten sollte die konjunkturelle Gangart jedoch wieder gemächlicher ausfallen”, meint DZ Bank-Experte Michael Holstein. Ein Einbruch der Konjunktur sei aber auch nicht zu erwarten, trotz der internationalen Belastungsfaktoren und politischen Unsicherheiten.