Clemens Fuest

„Deutschland wird zu den Gewinnern gehören“

Ifo-Chef Clemens Fuest spricht im Interview mit der Börsen-Zeitung über die Einigung auf eine globale Mindeststeuer, den weltweiten Kampf gegen Steuerhinterziehung und die steuerpolitischen Aufgaben der neuen Bundesregierung.

„Deutschland wird zu den Gewinnern gehören“

Mark Schrörs.

Herr Professor Fuest, einige Politiker haben die Einigung auf eine globale Mindeststeuer als Beginn einer neuen Ära in der globalen Steuerkooperation gefeiert. Teilen Sie diesen Optimismus? Ist mit der Einigung der jahrzehntelange Steuersenkungswettlauf weltweit beendet?

Es besteht kein Zweifel, dass dieses Abkommen, sofern es umgesetzt wird, einen historischen Schritt in der internationalen Steuerkoordination darstellt. Bevor es so weit ist, sind aber noch einige Hürden zu überwinden, unter anderem muss der US-Kongress zustimmen. Beendet ist der Steuerwettbewerb damit nicht. Aber der Steuerwettbewerb in Form der Verlagerung von Buchgewinnen in Steueroasen wird deutlich eingeschränkt. Der Wettbewerb um die Ansiedlung von realen Investitionen und Arbeitsplätzen wird weitergehen, aber das ist ja auch sinnvoll und beabsichtigt.

Kritiker bemängeln, dass die Einigung mit vielen Ausnahmen erkauft worden und die Schwelle von 15% nicht ausreichend sei. Der renommierte französische Ökonom Thomas Piketty spricht gar davon, die Einigung „legalisiert das Recht auf Steuerhinterziehung“. Was sagen Sie dazu?

Das halte ich nicht für überzeugend. Man muss beachten: Es handelt sich um einen effektiven Steuersatz, nicht um den gesetzlichen Steuersatz. Effektive Steuersätze sind oft niedriger als gesetzliche Steuersätze, beispielsweise weil Verluste aus früheren Jahren legitimerweise verrechnet werden oder weil ein Unternehmen Förderung für Forschung und Entwicklung erhält. Deshalb bedeuten 15% in vielen Ländern eine deutliche Steigerung. Außerdem geht es hier nur um die Steuern auf Firmenebene. Bei der Ausschüttung der Gewinne an Anteilseigner wird die Dividende noch einmal besteuert. Man muss auch berücksichtigen, dass es für Länder mit Standortnachteilen wie einer geografischen Randlage oder politischer Unsicherheit wichtig ist, mit niedrigen Steuern Investoren ins Land holen zu können. Letztlich sind die 15% natürlich auch ein Kompromiss, der erforderlich war, um eine Einigung zu ermöglichen.

Wen sehen Sie als Gewinner der Reform, wen als Verlierer?

Gewinner der Reform sind die großen Länder mit Standortvorteilen und hohen Steuern, beispielsweise Deutschland und Frankreich. Verlierer sind Steueroasen wie die Bahamas, aber auch Niedrigsteuerländer wie Irland oder die Schweiz. Verlierer sind außerdem Länder mit Standortnachteilen und niedrigen Steuern wie etwa Bulgarien oder Estland.

Die Einigung betrifft nur die größten Konzerne. Braucht es im Kampf gegen Steuerdumping einen effektiven Mindeststeuersatz für alle Unternehmen?

Der weitaus größte Teil der Steueraufkommensverluste durch internationale Steuervermeidung geht auf sehr große multinationale Firmen zurück. Deshalb ist es sinnvoll, sich auf diese Firmen zu konzentrieren. Die jetzt beschlossene Mindestbesteuerung ist außerdem extrem komplex und für kleinere Unternehmen kaum zu handhaben. All das spricht dafür, die neuen Regeln auf Großunternehmen zu beschränken.

Experten argumentieren, dass es trotz dieser Einigung noch ein sehr langer Weg sei, bis die globale Besteuerung mit der Welt des freien Handels und des Kapitalverkehrs Schritt halte. Was muss noch bzw. als Nächstes passieren?

Die Unternehmensbesteuerung ist auch nach der Einigung auf die globale Mindeststeuer noch immer primär national organisiert. Viele Unternehmen agieren aber global. Das führt nicht nur zu Steuervermeidung, sondern auch dazu, dass zwei oder mehr Länder auf die gleichen Erträge zugreifen und Doppelbesteuerung entsteht. Es wäre wichtig, zu verlässlichen Regeln zu kommen, die besser als heute sicherstellen, dass Unternehmensgewinne der Steuer nicht entgehen, aber auch nicht doppelt besteuert werden. Hinzu kommt, dass die Digitalisierung es ermöglicht, in Ländern Geschäfte zu machen, ohne dort eine physische Präsenz zu unterhalten. Deshalb versucht man derzeit, bei der Besteuerung stärker an Umsätzen mit Kunden anzuknüpfen als an der physischen Präsenz eines Unternehmens in einem Land. Praktisch erfordert das aber vor allem, stärker Umsatzsteuern als Ertragsteuern zu nutzen.

Die „Pandora Papers“ haben wieder einmal das Problem der Briefkastenfirmen aufgedeckt. Wie lässt sich dem Problem Herr werden?

Es ist rechtlich zulässig, Briefkastenfirmen zu unterhalten. Unzulässig ist es, Briefkastenfirmen zu verwenden, um Steuern zu hinterziehen oder sie zur Geldwäsche oder zur Finanzierung krimineller oder terroristischer Aktivitäten zu verwenden. Um kriminelle Aktivitäten zu verfolgen, sind in den vergangenen Jahren weitreichende Schritte unternommen worden, beispielsweise ein stark erweiterter internationaler Informationsaustausch und sanktionsbewehrte Berichtspflichten für Banken. Ob das reicht, muss immer wieder evaluiert werden. Wenn Briefkastenfirmen eingesetzt werden, um Steuern legal zu vermeiden, wie große Konzerne das teilweise tun, ist das steuerpolitisch unerwünscht, aber nicht illegal. Um das einzudämmen, muss man Gesetze ändern, wie es derzeit zum Beispiel mit der Mindestbesteuerung geschieht.

Was bedeutet die Einigung für die Steuerpolitik in Deutschland? Wie sollte eine faire und wachstumsfreundliche Steuerpolitik der neuen Regierung aussehen?

Deutschland wird, wenn die Mindeststeuer umgesetzt wird, fiskalisch eher zu den Gewinnern gehören. Es sind Mehreinnahmen im unteren einstelligen Milliardenbereich zu erwarten. Das ändert die Finanzlage des Staates nicht grundlegend, ist aber ein Beitrag. Wichtiger ist sicherlich, dass es die Steuermoral insgesamt untergräbt, wenn der Eindruck entsteht, dass einige sehr große Unternehmen und ihre Eigentümer kaum Steuern zahlen, während der Normalbürger wachsende Steuerlasten tragen muss. Hier sorgt die Mindeststeuer für mehr Fairness. Gleichzeitig muss man damit rechnen, dass sich der Steuerwettbewerb um die Ansiedlung realwirtschaftlicher Aktivitäten verstärkt. Für Unternehmen mit Produktionsstätten in Deutschland war es bisher leichter möglich, die hohen Steuern durch gezielte Gestaltung ihrer rechtlichen und finanziellen Strukturen teilweise zu vermeiden. Künftig müssen sie, um die hohen Steuern zu vermeiden, die realwirtschaftliche Aktivität in Niedrigsteuerländer verlagern. Für Deutschland würde das bedeuten, dass Unternehmen, die bleiben, höhere Steuern zahlen, aber mehr Unternehmen abwandern, so dass Investitionen und Arbeitsplätze verloren gehen. Insofern könnte der Druck auf Deutschland, Steuern zu senken, anhalten.

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