IM BLICKFELD

Die Ära von Matteo Renzi ist noch nicht zu Ende

Von Thesy Kness-Bastaroli, Mailand Börsen-Zeitung, 28.12.2016 Der 66. Nachkriegsregierung dürfte - auch für italienische Verhältnisse - nur eine kurze Dauer beschieden sein: Das seit Mitte Dezember vom neuen Regierungschef Paolo Gentiloni gebildete...

Die Ära von Matteo Renzi ist noch nicht zu Ende

Von Thesy Kness-Bastaroli,MailandDer 66. Nachkriegsregierung dürfte – auch für italienische Verhältnisse – nur eine kurze Dauer beschieden sein: Das seit Mitte Dezember vom neuen Regierungschef Paolo Gentiloni gebildete Kabinett soll frühestens im kommenden Sommer, spätestens im Frühjahr 2018 ersetzt werden. Gentiloni wird also kürzer als seine Vorgänger im Amt bleiben. Denn an vorverlegten Wahlen sind aus unterschiedlichen Gründen nahezu alle Parteien interessiert.Ex-Regierungschef Matteo Renzi, Parteisekretär des Partito Democratico (PD), will in den kommenden Wochen den Streit der verschiedenen Strömungen seiner Partei lösen und dringt darum auf Neuwahlen. Die Ausgliederung des linken Parteiflügels wird dabei nicht ausgeschlossen. Auch Oppositionsführer Beppe Grillo, Gründer der Protestbewegung Movimento 5 Stelle (M5S), würde lieber heute als morgen wählen lassen. Denn der Euro-Skeptiker befürchtet, dass das Chaos rund um die seit einem halben Jahr amtierende M5S-Bürgermeisterin Roms, Virginia Raggi, noch zunimmt. Und die europafeindlichen Rechtsparteien Lega Nord und Fratelli d’Italia wollen die Schwäche ihrer Gegner ausnutzen.Silvio Berlusconi indes von Forza Italia würde lieber noch warten, bis die Legislaturperiode Anfang 2018 zu Ende geht: Er benötigt Zeit, um seine Partei neu zu organisieren. Doch hat er bereits wissen lassen, dass er Roms Entgegenkommen im Bieterstreit um sein Medienimperium Mediaset “honorieren” wird. Ihm geht es – wie immer – primär um seine eigenen Interessen. Vor diesem Hintergrund ist sogar eine Koalition zwischen Renzis PD und Berlusconis Forza Italia nicht auszuschließen. Staatspräsident Sergio Mattarella scheint derzeit ebenfalls nicht auf Neuwahlen erpicht zu sein. Mammutprojekte voraus!Vor den Neuwahlen liegen für Gentiloni mindestens noch zwei Mammutprojekte: Zunächst muss er den Konsens für ein Wahlgesetz finden, das für beide Parlamentskammern gilt. Und er muss die Bankensanierung vorantreiben. Das von Renzi vorgeschlagene neue Mehrheitswahlrecht Italicum ist nur auf die Abgeordnetenkammer zugeschnitten, da der Senat der Reform zufolge eigentlich nicht mehr direkt gewählt werden sollte. Ohne eine harmonisierte Regelung für beide Kammern wären die Mehrheiten unklar – und Italien wäre noch schwerer zu regieren. Das Oberste Gericht wird am 24. Januar über das vorgeschlagene Wahlgesetz entscheiden.Doch inzwischen bahnt sich neues Unheil an: das “Mattarellum”. Es geht um die mögliche Wiederkehr des 1994 eingeführten und bis 2006 gültigen Wahlgesetzes. Die reine Verhältniswahl würde durch ein gemischtes System ersetzt: Drei Viertel der Sitze in der Abgeordnetenkammer würden nach dem Mehrheitswahlprinzip vergeben, nur ein Viertel proportional nach dem Stimmenanteil der Parteien mit einer Sperrklausel von 4 %.Im Gegensatz zum Italicum, das eine Vereinfachung des Regierens durch die Abschaffung des Zweikammersystems versprach, bleibt im Mattarellum alles beim Alten. Damit hat der Schriftsteller Tomasi di Lampedusa wieder einmal recht: “Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir zulassen, dass sich alles verändert.” Trotz 66 Nachkriegsregierungen und einer kurz bevorstehenden 67. Regierung, trotz der nach außen scheinenden Instabilität in Italiens Politik ändert sich also wenig.Vor den Neuwahlen muss Gentiloni verhindern, dass die Krise der Bank Monte dei Paschi di Siena nicht zu einer Systemkrise ausartet. Mit dem kurz vor Weihnachten verabschiedeten Bankendekret in Höhe von 20 Mrd. Euro hat er den ersten Schritt dazu getan. Ob dieser ausreicht, ist fraglich. Ebenso fraglich ist, ob die Staatshilfe für Italiens Banken von Brüssel genehmigt wird. Bald kommt der Lackmustest. Bis Jahresende sollen die drei mittelitalienischen Good Banks an Ubi Banca verkauft werden. Ab Jahresbeginn 2017 soll die erste Fusion der Volksbanken starten, und in Kürze wird eine weitere Kapitalerhöhung bei den norditalienischen Volksbanken durchgezogen. Ganz zu schweigen von der 13 Mrd. Euro schweren Kapitalerhöhung für Unicredit, die im ersten Quartal 2017 stattfinden soll. “Avatar” oder Stilikone?Zweifellos setzt Paolo Gentiloni den politischen Kurs seines Vorgängers fort. Gleichzeitig legt er aber einen anderen Führungsstil an den Tag. Gentiloni tritt besonnener und ruhiger auf als der Ex-Premier. Von den Oppositionsparteien wird er hingegen als “Kopie” und “Avatar” Renzis beschimpft. Einigen ist er schlicht zu blass. Aber womöglich gelingt es nur einem ruhigen, selbstbeherrschten Politiker wie Gentiloni, die sozialdemokratische Partei PD, die zerstrittenen politischen Lager und das gespaltene Land nach dem Referendum ein Stück weit zu versöhnen.Die Renzi-Ära ist in Italien insofern längst nicht vorbei. Denn der gegenwärtige Regierungschef Gentiloni ist ein Kompromisskandidat. Er dürfte keine eigene Rolle spielen, wenn in den nächsten Monaten der innerparteiliche Konflikt zwischen Renzis Mehrheits-PD und den Linken ausgetragen wird. Er wird auch Renzis Reformen von der Arbeitsmarktreform über die Digitalisierung der Verwaltung bis zum eingeleiteten Weg zur Industrie 4.0 vorübergehend fortsetzen.